Abhauen! Protokoll einer Flucht

»Was alles können wir Erwachsene, aber gerade auch die Kinder in ihrer Lebensneugierde, von unseren verrückten Alten lernen!« Michael Zeller erzählt die letzten zwei Jahre im Leben eines alten Menschen - eines ihm sehr nahen Menschen: der Mutter. Das ist bewegend, ehrlich und überraschend leicht und humorvoll: »Zu meinem eigenen Erstaunen schrieb ich gern an dem Manuskript, sonst hätte ich meine Notizen ruhen lassen. Es war, schreibend, eine Heiterkeit in mir, die sich, so hoffe ich, auf einen Leser überträgt.« Die Distanz, die jedes Erzählen fordert, hat Michael Zeller die Freiheit gebracht, das Gehen eines Menschen als einen natürlichen Prozess zu sehen und dabei das Exemplarische, für jeden von uns Gültige zu fassen. Zeller schildert die Besuche im Krankenhaus nach den Schlaganfällen, die Auflösung der Wohnung, die Zeit im Pflegeheim, die nicht nur die Mutter verändert, sondern auch ihn, den Besucher. Hineingearbeitet in die Gegenwart sind Szenen aus dem zurückgelegten Leben. Sie tauchen irrlichternd auf, zu Bruch gegangen manchmal, verzerrt. Diese Art beschädigter Erinnerung, wie sie im Alter auftritt, ist dem poetischen Verfahren eines Dichters nicht unähnlich und wird von Michael Zeller mit Lust genutzt. So ist ein berührendes, konzentriertes »Protokoll einer Flucht« entstanden, das nicht zuletzt auch das immer wundersame und immer individuelle Beziehungsgeflecht zwischen allen Eltern und ihren Kindern nachspürt, das eh schon ein Rätsel für sich ist und in diesem Fall noch einmal kompliziert wird durch die Auswirkungen des Weltkrieges und des Nationalsozialismus. Damit ist das Buch nebenbei auch ein Abschied von der Kriegsgeneration geworden, deren letzte Vertreter uns gerade verlassen. Die Textur des Erzählens ist luftig genug, um durchsichtig zu werden für den Humor, der auch im Sterben liegt. Gerade dieser Humor (der letztmögliche, der beste) ist es, der das Private aufsaugt und hinter sich lässt. Poeten lieben das Leben. Und also auch den Tod.

Seit seinem literarischen Debüt 1978 (mit dem Roman »Fehlstart-Training«) hat Michael Zeller ein vielgestaltiges Werk geschaffen. Neben Gedicht-, Erzähl- und Essaybänden sind das vor allem seine bisher acht Romane, Zuletzt erschien »Falschspieler«. Zusammen mit Schülern hat Zeller zwischen 2007 und 2012 fünf »Schulhausromane« veröffentlicht. Michael Zeller (Promotion, Habilitation) erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so den »Kulturpreis Schlesien« des Landes Niedersachsen (1997) oder den »Von der Heydt-Kulturpreis« der Stadt Wuppertal (2008). 2011 verleiht ihm die »KünstlerGilde Esslingen« den »Andreas Gryphius-Preis«. Er war zu Poetik-Dozenturen eingeladen an den Universitäten von Erfurt, Mainz, New York. Die letzten Veröffentlichungen sind »Die Selbstkritik von La Habana im Jahr 1968« (Erzählung, 2012), die wöchentliche Bild-Text-Kolumne »Seh-Reise«, CULTurMAG, 2012/13 und »wie es anfängt: wie es endet. Gedichte und Gesänge« (2013).

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