Abschiedsdisco

Angenommen, dieser Henning Marko wachte eines Tages mitten im Urwald auf und könnte sich einen Menschen herbeiwünschen. Mit wem möchte er das Abenteuer bestehen? 'Mit Mutter? Sie ließe sich von der Schlange beißen, nur damit sie mich nicht beißt. Mit Vater? Er würde immer vorangehen, immer die Richtung bestimmen wollen. Lutz? Sobald die Batterien des Rekorders leer wären, hätte er alle Lust am Abenteuer verloren. Und Gundula Fischer? Das ließe sich denken, wenngleich ich nicht wüsste, wie sie sich angesichts eines ausgewachsenen Ochsenfrosches aufführt. Der junge Polizist fällt mir ein. Mit dem könnte man, falls vorhanden, möglicherweise Pferde stehlen. Der schnauzbärtige MZ-Mann würde vermutlich seiner Maschine nachtrauern, sich aber bei einer überraschenden Begegnung mit dem weiblichen Teil der Ureinwohner als sehr nützlich und umgänglich erweisen. Oder Magda, von der sich lernen ließe, wie man mit der Einsamkeit fertig wird. Und der Mann mit dem Ortsschild? Er würde eine Siedlung gründen, ihr Gesetze und einen Namen geben, sich dann in den Schatten setzen, rauchen und darüber nachdenken, woher er gekommen ist, mehr noch: Wer er eigentlich ist. Mit seiner Art, das Mögliche zu tun, ohne sich aus lauter Ehrfurcht vor dem Geschaffenen selbst auf die Hosenbeine zu treten, müsste sich eigentlich ganz gut leben lassen.' Das ist das vorläufige Ergebnis der Überlegungen Hennings nach einem Tag voller Eindrücke in dem fast schon toten Dorf Wussina, das der Braunkohle weichen muss. Im Lichte dieses Abschieds verlaufen die Begegnungen mit den wenigen Leuten, die er trifft, überraschend und rätselhaft. Der 15-Jährige muss all seine Kräfte zusammennehmen, um dem Ansturm der Ereignisse und Gefühle standhalten zu können. Er beginnt zu ahnen, wie schwer die Prüfungen des Lebens mitunter sind, und fühlt die Kraft in sich wachsen, sie zu bestehen. Dabei denkt er natürlich auch an Dixie, die hinter ihm läuft, schon Busen hat, immer ein wenig nach Windeln riecht, weil sie kleine Geschwister zu versorgen hat. 'Sie wäre der ideale Kumpel; sie müsste nur etwas hübscher sein. ' Nach dem spannenden Jugendbuch von 1981 entstand 1989 der gleichnamige DEFA-Film (Drehbuch und Regie: Rolf Losansky).

Joachim Nowotny entstammt einer Arbeiterfamilie. Er absolvierte eine Lehre als Zimmermann und arbeitete in diesem Beruf. 1954 legte er an einer Arbeiter-und-Bauern-Fakultät die Reifeprüfung ab und studierte anschließend bis 1958 Germanistik an der Universität Leipzig. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er als Verlagslektor. Seit 1962 lebt er als freier Schriftsteller in Leipzig. Von 1967 bis 1982 wirkte er als Dozent am dortigen Literaturinstitut Johannes R. Becher. Joachim Nowotny ist Verfasser von Erzählungen, Romanen, Hör- und Fernsehspielen. Den Schwerpunkt seines Werkes bilden Kinder- und Jugendbücher; thematisch ist er eng mit seiner Heimatregion, der Lausitz, verbunden. Nowotny behandelte als einer der ersten DDR-Autoren am Beispiel des Lausitzer Braunkohle-Tagebaus Themen wie Landschafts- und Umweltzerstörung. Joachim Nowotny ist seit 1990 Mitglied des Verbands Deutscher Schriftsteller. Auszeichnungen: 1971 Alex-Wedding-Preis, 1977 Heinrich-Mann-Preis 1979 Nationalpreis der DDR (II. Klasse für Kunst und Literatur) 1986 Kunstpreis des FDGB. Bibliografie (Auswahl) Hochwasser im Dorf, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1963 Jagd in Kaupitz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1964 Hexenfeuer, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1965 Jakob läßt mich sitzen, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1965 Labyrinth ohne Schrecken, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1967 Der Riese im Paradies, Der Kinderbuchverlag, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1969 Sonntag unter Leuten, Mitteldeutscher Verlag, Halle (S.) 1971 Ein gewisser Robel, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1976 Die Gudrunsage, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1976 Ein seltener Fall von Liebe, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1978 Abschiedsdisco, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1981 Letzter Auftritt der Komparsen, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1981 Die Äpfel der Jugend, Aufbau Verlag, Berlin 1983 Ein Lächeln für Zacharias, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1983 Der erfundene Traum und andere Geschichten, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1984 Schäfers Stunde, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1985 Der Popanz, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1986 Wo der Wassermann wohnt, Domowina Verlag, Bautzen 1988 (zusammen mit Gerald Große) Adebar und Kunigunde, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1990 Als ich Gundas Löwe war, Faber & Faber, Leipzig 2001

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