Der Begriff der Agency - nur unbefriedigend als 'Handlungsmacht', 'Handlungspotenzial' oder 'Handlungsinitiative' ins Deutsche übersetzbar - ist in verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen unverzichtbar, um Prozesse gegenseitiger Einflussnahme, die Reichweite oder den Ausschluss von Handlungsspielräumen oder Verantwortung für konkrete Vorgänge zu bestimmen. In der Medien- und Kommunikationswissenschaft hat er lange Zeit keine systematische Rolle gespielt. Erst in Reaktion auf Perspektiven der seit den 1990er-Jahren boomenden Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und daran anschließenden Entwürfen der Medienwissenschaft wurden vergleichbare Konzepte von medial verteilter Handlungsmacht entwickelt. Gegenüber solchen eher theoriegeleiteten Studien nehmen die Autor*innen des vorliegenden Bandes verschiedene exemplarische Medienkonfigurationen in den Blick und versuchen das Erklärungspotenzial von 'Agency' als medienwissenschaftlicher Schlüsselkategorie aus der Perspektive ihres jeweiligen Forschungsfeldes genauer zu bestimmen. Unter den Bedingungen der 'Postdigitalität' - der Annahme, dass kaum noch 'nicht-digitale' Medienbereiche auszumachen sind und der Begriff der 'Digitalisierung' deshalb gewissermaßen bedeutungslos geworden ist - lassen sich gegenüber früheren Zugängen insbesondere zwei medienwissenschaftliche Facetten von Agency neu diskutieren: Zum einen, inwiefern neben menschlichen Akteuren auch neu entstandenen nicht-menschlichen Entitäten ein solches Handlungspotenzial zuzurechnen ist. Zum anderen wären im postdigitalen Raum auch die relativen Handlungs(un)fähigkeiten von individuellen, kollektiven und institutionellen Akteur*innen neu zu bestimmen, wo Handlungsketten oder Kommunikationsmuster zunehmend durch den verfügbaren oder beschränkten Zugang zu Ressourcen sowie den Affordanzen von digitalen Medienkonfigurationen gekennzeichnet sind. Agency postdigital bringt diese beiden Aspekte zusammen und zeichnet eine Karte der veränderten Verteilung und Manifestation von Handlungsmacht in der postdigitalen Welt entlang exemplarischer medienwissenschaftlicher Forschungsfelder.

Berenike Jung arbeitet als Lecturer in Filmwissenschaften am King's College London. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft in Tübingen am Lehrstuhl für Medienwandel und Medieninnovation. Sie hat 2016 an der Universität Warwick (Großbritannien) in Film- und Fernsehwissenschaften promoviert und ihre Dissertation beim Universitätsverlag Edinburgh unter dem Titel The Invisibilities of Torture: The Presence of Absence veröffentlicht, neben weiteren Publikationen zum chilenischen Film und Fragestellungen zu Ethik und Gewalt im Kino. Ihre Lehr- und Forschungsinteressen umfassen Filmtheorie, Dokumentarfilm, Populärkultur, transnationalen Film, Film/Philosophie und digitale Medien. Momentan beschäftigt sie sich besonders mit der Rolle von Affektivität und Performativität und dem Verhältnis von Ästhetik, Praxis und Ethik in digitalen Bildformaten wie GIFs und in Kurzvideos auf Plattformen wie TikTok sowie kritischen Fragestellungen zu deren transnational unterschiedlichen Effekten.