Autonome Kunst als gesellschaftliche Praxis

Hans Georg Nägeli (1773-1836) ist für die Musikwissenschaft ein Vorläufer Eduard Hanslicks, für die Musikpädagogik ein Schüler Pestalozzis, für die Sozialgeschichte der Musik ein 'Sängervater'. Doch weder innerhalb des Koordinatensystems einer Geschichte der Musikästhetik noch im Rahmen der Suche nach historischen Modellen und Anregungen für aktuelle reformpädagogische Diskussionen lassen Nägelis Interventionen sich verstehen. Selbst um Teilbereiche seines Werks und Wirkens begreifen zu können, muss man den 'ganzen Nägeli' in den Blick nehmen.

Miriam Roner tut genau das und konzentriert sich dabei auf drei Kernarbeitsfelder: Nägelis Tätigkeit als Musikalienhändler und Verleger, als Gründer und Leiter eines Sing-Instituts in Zürich sowie als Autor einer Theorie der Musik, die in den Vorlesungen über Musik mit Berücksichtigung der Dilettanten (1826) ihre prominente Zusammenfassung erhalten hat. Das bunte Nebeneinander der Tätigkeit als Geschäftsmann, Komponist, Lehrer und Theoretiker wird zusammengehalten durch eine verbindende, übergreifende Problemstellung: Nägeli praktiziert und versteht Musik als spannungsvolles Ineinander von Autonomie und sozialer Funktion.



Miriam Roner absolvierte pädagogische und künstlerische Instrumentalstudien in München und Trossingen und studierte Musikwissenschaft in Trossingen und Bern. Sie arbeitet an der SLUB Dresden und ist dort für das Archiv zeitgenössischer Komponisten und für die Erschließung von Musikhandschriften und musikalischen Nachlässen zuständig.