Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus.

Der Zweck des Strafrechts besteht im Schutz von Rechtsgütern. Ihre Bewahrung stellt den eigentlichen Legitimationsgrund des Strafrechts dar. In den letzten Jahrzehnten wird jedoch die Tendenz des Gesetzgebers beobachtet, strafrechtliche Regelungen zu erlassen, welche nicht die Erhaltung von 'wahren' Rechtsgütern ins Zentrum legen, sondern vornehmlich dem Zweck dienen, den 'Täter' vor den schädlichen Folgen seines selbstbezogenen - und daher die Interessen Dritter nicht tangierenden - Verhaltens zu bewahren. Diese Art 'öffentlicher Einmischung' in das individuelle Leben, welche den Einzelnen lediglich vor sich selbst schützen will, wird als strafrechtlicher Paternalismus bezeichnet. Die paternalistische Doktrin lässt sich allerdings in der heutigen liberal konzipierten Strafrechtsordnung kaum rechtfertigen, denn sie zieht zu ihrer Legitimation argumentative Topoi heran, die im Rahmen der heutigen strafrechtsdogmatischen Diskussion als höchst problematisch betrachtet werden. Vor allem missachtet die paternalistische Doktrin die fundamentale kritische Funktion des Rechtsgutbegriffs sowie die maßgebende Rolle, welche den als Konstitutionsprinzipien des modernen Rechtsstaates aufzufassenden Werten der individuellen Würde und der freien Selbstbestimmung bei der Feststellung und anschließenden Ausgrenzung dubioser Zwecksetzungen aus dem Schutzfeld des Strafrechts zukommt.

Ioannis Gkountis, geboren 1979 in Larissa (Griechenland), studierte Jura an der Demokritus Universität Thrazien. Nach einem Aufbaustudium (LL.M. im Deutschen Recht) an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promovierte er ebendort unter der Betreuung von Professor Dr. Schünemann.