Ungarn in den 1980er-Jahren: Der Balaton, oder Plattensee, ist ein beliebtes deutsch-deutsches Urlaubsziel. Hier liegen Ost- und Westdeutsche einträchtig nebeneinander am Strand, durch den Mauerbau getrennte Familien machen gemeinsam Ferien. Es ist ein Ort der gelebten Wiedervereinigung, lange bevor die Mauer fällt. Aber das scheinbare Idyll hat auch Schattenseiten. Während 'die Badewanne Ungarns' für die Besucher aus der BRD ein billiges Urlaubsvergnügen ist, müssen die DDR-Bürger jede Mark zweimal umdrehen und verpflegen sich überwiegend aus von zu Hause mitgebrachten Lebensmittelvorräten. Dennoch ist der Balaton für viele von ihnen ein Sehnsuchtsziel, ein erster Schritt in Richtung Freiheit - von der ihre ungarischen Gastgeber gleichermaßen träumen. Noémi Kiss fängt in ihren Novellen die besondere Stimmung dieser Zeit vor dem totalen Umbruch ein, lässt ihre angespannte, abwartende Stille geradezu greifbar werden. Auf fast beiläufige Art gewährt sie tiefe Einblicke in die sozialistische Welt jener Jahre an diesem Fleck Ungarns, und immer vermischt sich die Spannung des Entdeckens mit dem aufwühlenden Gefühl der Beklemmung. Ist die oberflächliche Sommerfreude auch noch so ausgelassen, das Wasser schwemmt immer wieder entglittene Schicksale, Verbrechen, Geheimnisse und Lügen ans Ufer. Oder warum heißt es, der alte Botlik sei beim Schwimmen ertrunken, obwohl jeder weiß, dass kein Anwohner des Plattensees freiwillig in der August-Mittagshitze in den See steigen würde?

Noémi Kiss, geb. 1974 in Gödöllö in der Nähe von Budapest, ist Autorin, Kritikerin und Essayistin. Sie studierte Hungarologie, Komparatistik und Soziologie an der Universität Miskolc, wo sie seit 2000 als Dozentin in Komparatistik arbeitet. 2003 promovierte sie mit einer Arbeit über Paul Celan und verbrachte im Rahmen ihrer Promotionsarbeit auch zwei Jahre an der Universität Konstanz. Ihre Werke wurden ins Deutsche, Englische, Schwedische, Bulgarische und Serbische übersetzt. Von Dezember 2013 bis Mai 2014 weilte sie als Writer in Residence des Literaturhauses Zürich und der Stiftung PWG in Zürich. Sie lebt in Budapest und ist Mutter von Zwillingen. In Deutschland wurde sie bekannt durch ihren Roman Was geschah, während wir schliefen sowie ihr literarisches Reisetagebuch Schäbiges Schmuckkästchen. Das Buch wurde von der Darmstädter Jury zum Buch des Monats 2015 gewählt. 2018 erschien ihr Roman Dürre Engel (Europa Verlag). Ihr neues Buch 'Balaton' kommt im April 2021 heraus. Eva Zador, geboren 1966 in Frankfurt, studierte Deutsche Philologie und Finnougristik in Göttingen und arbeitet seither als unabhängige Übersetzerin für ungarische Literatur. Seit 2006 ist sie Dozentin für literarisches Übersetzen am Balassi-Institut in Budapest. Für den Europa Verlag hat sie bereits Schäbiges Schmuckkästchen sowie Dürre Engel von Noémi Kiss übersetzt.

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