Das Abgleiten in den Schuldenstaat

In der Bundesrepublik wuchs die öffentliche Verschuldung zunächst langsam, in den frühen siebziger Jahren dann rascher und seit der Mitte des Jahrzehnts schließlich dramatisch. Anfang der achtziger Jahren war die Bundesrepublik ein Schuldenstaat geworden, hatten die Deutschen wieder gelernt, Schulden zu machen: öffentlich, aber auch privat. Dadurch veränderten sich ihre Zeitstrukturen. Denn Schulden machen bedeutet, der Gegenwart zu Lasten der Zukunft mehr Gewicht beizumessen. Dadurch entsteht ein größerer finanzieller Handlungsspielraum, der sich politisch nutzen lässt. Der Preis sind Belastungen in der Zukunft in Form von Zinszahlungen und Tilgungsverpflichtungen. Wegen dieser Vor- und Nachteile war der Weg der Bundesrepublik in den Schuldenstaat heftig umstritten. So formierte sich um den Leitbegriff »Öffentliche Armut« eine Allianz politischer Kräfte, welche die Auf- und Ausgaben der öffentlichen Hände auch um den Preis steigender Schulden erweitern wollte. Die »Expansionskoalition« bestimmte die Finanz- und Schuldenpolitik bis in die Mitte der siebziger Jahre. Als sich die negativen Seiten ihrer Politik immer deutlicher zeigten, entstand um den Leitbegriff »Weniger Staat« eine konkurrierende Allianz. Der »Konsolidierungskoalition« ging es darum, die staatlichen Aktivitäten zurückzufahren und die öffentlichen Haushalte zu sanieren. Sie gewann seit dem Ende der siebziger Jahre an Einfluss auf die Finanz- und Schuldenpolitik und setzte sich nach dem Ende der sozialliberalen Regierung seit 1982 durch. Den Weg der Bundesrepublik in den Schuldenstaat konnte sie bremsen, aber nicht auf Dauer aufhalten.

Hans-Peter Ullmann ist Professor em. für Neuere Geschichte an der Universität Köln.

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