Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten

Wer Peru literarisch kennenlernen will, muss Arguedas lesen: Sein Meisterwerk 'Die tiefen Flüsse' ist ein interkultureller Bildungsroman, ebenso indianisch wie westlich geprägt. Jahrelang ist Ernesto mit seinem Vater, einem mittellosen Anwalt, von einem Dorf zum nächsten gereist. Dem Kindesalter entwachsen, kommt er schließlich auf ein katholisches Internat in der Provinzhauptstadt Abancay, hoch oben in den Anden. Dort ist zum Beispiel Añuco, der Sohn des verarmten Großgrundbesitzers, der zusammen mit dem Kraftprotz Lleras die jüngeren Schüler malträtiert; Palacitos, ein scheuer, kaum des Spanischen mächtiger Indio; Gerardo, der Sohn des Militärkommandeurs; Ántero, der Ernesto mit der Magie eines Kreisels verzaubert, dessen sphärischer Klang den Schulhof erfüllt und zum letzten Mal unbeschwerte Kindheit vorgaukelt. Denn des Nachts wird derselbe Schulhof zu einem düsteren, unheimlichen Ort, wo sich die schwachsinnige Küchenmagd den älteren Schülern hingibt. Arguedas zeichnet sie als Vorbotin der Katastrophe, die über Abancay und das Internat hereinbricht - und in der allein Ernesto einen kühlen Kopf bewahrt.

José María Arguedas, geboren 1911 in Andahuaylas (Peru), gehört zu den großen Vergessenen der lateinamerikanischen Boom-Literatur. Er war Ethnologe und der prominenteste Vertreter des literarischen Indigenismus. In Romanen wie 'Die tiefen Flüsse' (1957), die ihn zu einem bekannten Autor machten, versuchte er die indigene Tradition Perus mit der dominanten westlich geprägten Kultur zu versöhnen. 1966 übersetzte Arguedas als Erster das berühmte Huarochirí-Manuskript aus dem Quechua ins Spanische. In dieser Sammlung andiner Mythen entdeckte er auch die beiden Füchse, die für die beiden peruanischen Landschaften (das Gebirge der Hochanden sowie die teils fast tropische Küstenregion) stehen und seinem letzten Roman den Titel geben. In 'Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten' rechnet Arguedas zudem mit lateinamerikanischen Berufsschriftstellern wie Julio Cortázar ab, der ihn als Provinzautor diffamiert hatte. Im Dezember 1969 nahm sich Arguedas das Leben, der Roman blieb unvollendet. Matthias Strobel, geboren 1967, studierte Germanistik, Geschichte und Hispanistik in Tübingen, Leeds, Madrid und Hamburg. Er ist Übersetzer aus dem Spanischen und Englischen, unter anderem von Alfredo Bryce Echenique, Alberto Barrera Tyszka, César Aira, Guillermo Arriaga und Peter Heller. 2014 erhielt er den Europäischen Übersetzerpreis Offenburg (Förderpreis), 2017 stand er auf der Shortlist zum Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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