Der Soldat und die Frau

Tief in der Steppe, mitten im Zweiten Weltkrieg, begibt sich eine außergewöhnliche Geschichte: Der Soldat Röder, der als Gefangener mit einem Kommando die gefallenen Soldaten begräbt, wird von dieser Gruppe getrennt, und er findet sich wieder allein in der Nähe eines Dorfes, nunmehr als Gefangener von Frauen, die beginnen, ihre Häuser und Höfe wieder aufzubauen. Was erwartet ihn, was kann er erwarten? Er erwartet Hass und erfährt zunächst Hass. Aber im Verlauf des Geschehens verwandelt sich der Hass, und auch er selbst gewinnt neue Erfahrungen, und er wird nicht nur überleben, sondern eigentlich erst wirklich zu leben beginnen. Und so spiegelt sich im Außergewöhnlichen das historisch Bedeutsame, das sich wandelnde Verhältnis zwischen sowjetischen und deutschen Menschen. In ungewöhnlicher Dichte, spannungsgeladen, wird diese Geschichte erzählt, die den Autor wiederum als reifen Erzähler ausweist. LESEPROBE: Der Mann, der auf dem Eis kniete, beugte das Haupt tief über den Toten. Herrgott im Himmel, wenn es dich noch gibt. Du kannst mir glauben, wir haben ihn aufgezogen in Liebe. Bei der Taufe hat der Pfarrer Ballmann gesagt, dies Kind soll unverloren sein. Hast du es weggeschmissen, Gott? Haben wir's getan? Hat er's selber gemacht? Deck dich mit meinem Mantel zu, Junge. Es ist kalt. Es ist kalt, hörst du, wie die Räder knarren vor dem Karren. Und die müssen noch so weit mit dir. Hörst du, wie der Baum umbricht ... »Roider!« Das wird der Starschina sein. Den kennst du nicht. Der kann unsern Namen nicht richtig aussprechen. Ist kein schlechter Mensch deswegen. Ich muss jetzt aufstehn. Der Starschina, das Pferd am Zügel haltend, stand an der Grube. Sah hinab auf den Toten. Sah lange hinab auf das Totengesicht. Blickte auf. Sah prüfend in das tote Gesicht des Mannes, der sich erhoben hatte. »Familija?«, fragte der Sergeant, auf den Toten deutend. »Röder«, antwortete der Kriegsgefangene. Er tappte die paar Schritte bis zum Karren. Nahm sein Brecheisen von der Pritsche. Die Grube war heute für zehn auszusprengen. Neun und einer sind zehn. Und der zehnte war noch aus dem Eis zu hacken. Röder fing gleich damit an. Was du tun musst, tue gleich. Wenn du sterben musst, stirb schnell. Der Starschina stieg auf den Karren, schloss die Kiste auf, warf Spitzhacke und Schaufel herab. Dann ging er zu dem Gefangenen, streifte den Mantelärmel etwas zurück, tippte auf seine Uhr, tippte auf die eins. Die Uhr des Starschina zeigte jetzt auf viertel zwölf.

Max Walter Schulz Professor Dr. h.c. Max Walter Schulz wurde am 31. Oktober 1921 in Scheibenberg/Erzgebirge geboren und ist am 15. November 1991 in Berlin verstorben. Von 1939 bis 1947 nahm er als Soldat am 2. Weltkrieg teil, anschließend amerikanische Kriegsgefangenschaft. 1946 bis 1950 Pädagogikstudium in Leipzig, danach Lehrer. 1987 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Pädagogischen Hochschule Leipzig. 1957 bis 1958 Studium am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig, von 1964 bis 1983 Direktor dieses Instituts. 1969 bis 1990 Vizepräsident des Schriftstellerverbandes der DDR. Seit 1969 Mitglied der Akademie der Künste. 1983 bis 1990 Chefredakteur der Zeitschrift "Sinn und Form". Auszeichnungen: 1963: Literaturpreis des FDGB 1964, 1980 Nationalpreis der DDR 1978: Vaterländischer Verdienstorden Bibliografie: Wir sind nicht Staub im Wind, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1962 Stegreif und Sattel, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1967 Kontakte, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1970 Triptychon mit sieben Brücken, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1974 Das kleine Mädchen und der fliegende Fisch, Kinderbuchverlag, Berlin 1978 Pinocchio und kein Ende, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1978 Der Soldat und die Frau, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1978 Die Fliegerin oder Aufhebung einer stummen Legende, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1981 Auf Liebe stand Tod, Verlag Neues Leben, Berlin 1983

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