Der christliche Staatsmann

Die übergroße Mehrheit der evangelischen Kirchenglieder aller Schattierungen in Deutschland war Hitler hinterhergelaufen und hatte die NS-Kriegspolitik gestützt. Ab 1945 verkürzte sich die Wahrnehmung jedoch auf den Gegensatz "Bekennende Kirche" und "Deutsche Christen". In diesem Buch lenkt Dietrich Kuessner den Blick wieder auf die "Kirchliche Mitte", die als "Volkskirche" abseits der Gruppenbildung allen Konflikten aus dem Weg ging und sich durch eine irrige Lehre über den Staatsgehorsam von vornherein widerstandsunfähig machte. Hitlers Selbstinszenierung als "christlicher Staatsmann" wurde dankbar aufgegriffen. Die Behördenkirche erfreute sich steigender Geldeinnahmen und funktionierte reibungslos. Während des Weltkrieges festigte sich das bereits erprobte Nebeneinander von Nationalsozialismus und Evangelischer Kirche. Nachdem ein Pfarrer die Leichenberge in Bergen Belsen unfreiwillig mit vielen anderen Bürgern hatte mit ansehen müssen und in sein Celler Pfarrhaus zurückgekehrt war, stammelte er nur leichenblass: "Das haben wir nicht gewollt." Dieser Satz wurde im Sommer 1945 zur Standardbehauptung des konservativen Bürgertums, das sich durch Gedächtnisverlust und innere Abspaltung auszeichnete. Umgangen wurde auch die naheliegende Frage, ob die Kirche durch die Anerkennung Hitlers als Obrigkeit an Terror und Massenmord mitschuldig geworden war. Die "Kirchliche Mitte" schickte sich alsbald an, die neue Ämterverteilung in ihrem Sinne zu regeln. Reihe: Kirche & Weltkrieg - Band 10

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