Das Mittelmeer wurde von den Barbaresken Korsaren über drei Jahrhunderte beherrscht und ausgebeutet. Die ersehnte Beute, natürlich neben den Handelsgütern der gekaperten Schiffe, war vor allem die menschliche Ware. Es waren unvorstellbar grausame Zeiten. Heute würden wir von Zivilisationsbrüchen sprechen, damals empfanden die Menschen es resigniert als unabwendbares Schicksal, als allgegenwärtige und unabänderliche Gefahr. Die langsamen und schwerbeladenen Handelsschiffe des christlichen Europas hatten kaum eine Chance auf Entkommen. Wurden sie gesichtet, war ihr Schicksal zumeist schon besiegelt: auf den Sklavenmärkten rund um das Mittelmeer war der Verkauf der menschlichen Ware ein gut etabliertes, grausames System. Frauen, Kinder, Männer, alle fanden nach ausgiebiger Musterung, zumeist nackt auf einem öffentlichen Platz, ihre Abnehmer. Das Elend der Versklavten war unvorstellbar und kaum zu beschreiben, in unserer heutigen Vorstellung sind diese Beschreibungen auch kaum zu ertragen. Gehalten wie die Tiere, der Willkür preisgegeben, konnte lediglich ein hoher Rang den Wert der Beute steigern, man hielt sie für alle Eventualitäten als Tauschgut geradeso am Leben. Ein paar wenige Berichte der glücklichen Überlebenden legen davon Zeugnis ab: Wer hatte das Glück, fliehen zu können? Wer das Glück, durch Weiterverkauf seine Freiheit wiederzuerlangen? Wer hat ihnen dabei geholfen, zum Teil mit dem Einsatz des eigenen Lebens? Durch die Wiedergabe und teilweise Übersetzung dieser Berichte in diesem Buch soll dieses schwarze Kapitel der Menschheit aus dem Vergessen hervorgeholt werden, um sich eingraben zu können in das kollektive Gedächtnis der Menschen: derer, die sich für die geschichtlichen Themen der Seefahrt interessieren, aber auch von denen, die nicht vergessen wollen, wozu der Mensch fähig ist. Das Thema erfährt heute neue Aktualität: wieder sind Menschen auf der Flucht, wieder werden sie wie Ware verschachert und entsprechend den Zielen derjenigen, die die Macht dazu haben, verschoben und ausgesperrt. Und wieder sind sie Druckmittel im Tausch gegen wirtschaftliche und geostrategische Interessen der Mächtigen. Dies sind die Zivilisationsbrüche der Moderne, die in ihrem Mangel an verbindlicher Ethik den Tragödien im Mittelmeer um nichts nachstehen.

Dr. Heiner Borgmann Jahrgang 1943. Seit dem zwölften Lebensjahr infiziert vom Segeln auf Binnengewässern. Während des Medizinstudiums begann das Hochseesegeln mit vielen Reisen im Mittelmeer. 1975 Transatlantik Überquerung. Danach verheiratet seit über 45 Jahren. Drei Kinder. Über dreißig Jahre in eigener Praxis als Facharzt für Orthopädie. Ab 1990 bis 2000 begann zweite Phase der Hochseesegelns mit Extremtörns: Südamerikanische Küste, mehrere Kap Hoorn Umrundungen, Rettungsaktion im Bereich der Süd-Shetland Inseln der Antarktis. Zweimonatiger Besuch aller subantarktischen Inseln von Neuseeland und Australien bis zur Scott Insel vor dem Packeis des Ross Meeres. Danach Aufenthalt vorwiegend in heimischen Gewässern. Langjährige Beschäftigung mit seegelhistorischen Expeditionen und Seefahrerberichten sowie das Sammeln von Erzählungen mit dem Schwerpunkt des mythologischen Aberglaubens der Seeleute.