Der preussische Konservatismus im Kampf gegen Einheit und Freiheit.

Gemäß der herkömmlichen Betrachtungsweise wird Konservativismus als Gegenströmung zur okzidentalen Modernisierung dargestellt. Bei dieser Definition bleibt jedoch der Unterschied zwischen politischer Bewegung und Partei ebenso unklar wie die Abgrenzung vom Liberalismus. Der Autor entwickelt in der vorliegenden Studie eine präzisere Konservativismusdefinition. Konservativismus und Liberalismus waren kontinentaleuropäische Verfassungsbewegungen des 19. Jahrhunderts. Sie entstanden dort, wo sich die absteigende Stände- und die aufsteigende Staatsbürgergesellschaft ungefähr die Waage hielten. Die konservative und die liberale Bewegung formierten sich um das staatliche Machtzentrum von Monarchie, Bürokratie und Militär und fochten für gegensätzliche Gesellschaftsmodelle. Beide Bewegungen wurden mit dem nationalen Verfassungsstaat zu politischen Parteien. Bernhard Ruetz verdeutlicht den Übergang von der Bewegung zur Partei am Beispiel des preußischen Konservativismus von 1815 bis 1876. Die Konservativen verteidigten die christlich legitimierte Ständegesellschaft gegen die von den Liberalen erstrebte säkularisierte Staatsbürgergesellschaft. Gekämpft wurde um die beiden zentralen Verfassungsfragen von nationaler Einheit und bürgerlicher Freiheit. Die Allianz zwischen Ministerialbürokratie und Liberalismus siegte und beseitigte mit der Reichsverfassung von 1871 die letzten ständischen Institutionen und Rechte. Der Konservativismus verschwand aus der Geschichte und konstituierte sich neu als konservative Partei der bürgerlichen Gesellschaft.