Der venezianische Adel am Ende der Republik 1646-1797

In diesem Buch wird das Privatleben der über 700 Familien betrachtet, die in den anderthalb Jahrhunderten vor dem Ende der Republik den venezianischen Adelskörper gebildet haben. Unter Rückgriff auf Kirchenbücher, Haushaltszählungen, Testamente und andere serielle Quellen werden die demographischen Schicksale, das Heiratsverhalten sowie die sehr eigentümlichen Familien- und Haushaltsstrukturen rekonstruiert. In den vermögenden Familien, welche die Schalthebel der politischen Macht monopolisierten, blieben in den meisten Fällen noch bis zum Untergang der Republik selbst so persönliche Entscheidungen wie Heirat oder Ehelosigkeit, Wahl des Ehegatten, das Leben in einem eigenen Haushalt oder in einer Fraterna mit allen männlichen Verwandten (unter Verzicht auf wirtschaftliche Unabhängigkeit) den Geboten der Familienräson untergeordnet. Denn um einen ehrenvollen Platz im öffentlichen Leben und in der Adelspyramide zu behaupten, mußten die Familien geeint und ihr Besitz ungeteilt bleiben und durften nicht mehr Söhne heiraten, als für die Fortdauer der Familie in einer einzigen Linie unerläßlich schienen. Hautpsächlich daran, daß die reichen Familien die Anzahl der für die Fortdauer notwendigen Ehen zu knapp kalkulierten, lag es, wenn im Verlauf von anderthalb Jahrhunderten über die Hälfte von ihnen erlosch. Einer völlig anderen Strategie folgte dagegen eine Minderheit von Adeligen oder 'Plebejern', die munter drauflos heirateten und so viele Kinder in die Welt setzten, daß auf sie am Ende des 18. Jahrhunderts fast zwei Drittel der Sitze im Großen Rat entfielen. Dieses Anwachsen eines adligen Proletariats, das fast ausschließlich von Sinekuren und staatlichen Almosen lebte, zerstörte vollends den inneren Zusammenhalt des Adelskörpers und schwächte die politische Handlungsfähigkeit der tausendjährigen Republik so sehr, daß sie 1797 kampflos vor dem korsischen Aggresor kapitulierte.