Der weiße Freitag

Goethes zweite Schweizer Reise 1779 hätte gut die letzte des damals Dreißigjährigen sein können, und der 'Werther' sein einziges bekanntes Werk. Denn das Risiko einer neunstündigen Fußwanderung über die Furka im November durch Neuschnee war unberechenbar. Aber der frisch ernannte Geheimrat hatte es auf den kürzesten Weg zu seinem heiligen Berg, dem Gotthard, abgesehen, seinen acht Jahre jüngeren Landesfürsten Carl August mitgenommen und alle Warnungen in den Wind geschlagen. Adolf Muschg liest diesen 12. November, den 'weißen Freitag', die Wette Goethes mit seinem Schicksal, als Gegenstück zu Fausts Teufelswette und zugleich als Kommentar zum eigenen Fall eines gealterten Mannes, der mit einer Krebsdiagnose konfrontiert ist. Als Zeitgenosse weltweiter Flucht und Vertreibung und einer immer dichteren elektronischen Verwaltung des Lebens findet er gute Gründe, nach Vorhersagen, Warnungen und Versprechen in einer Geschichte zu suchen, die gar nicht vergangen ist. Sie handelt vom Umgang mit dem Risiko, dem auch der noch so zivilisierte Mensch ausgesetzt ist, weil er es als Naturgeschöpf mit Kräften zu tun hat, die er nicht beherrschen kann. Muschg hat mit dieser Doppelbelichtung zweier Reisen sein persönlichstes Buch geschrieben und sich ihrem bei aller Verschiedenheit gemeinsamen Grund genähert, den man nur im Erzählen ahnt - mit immer noch offenem Ende und doch im Wissen um die Endlichkeit, die nicht zu überschreiten ist.

<p>Adolf Muschg, geboren 1934 in Z&uuml;rich, war u. a. von 1970 &ndash; 1999 Professor f&uuml;r deutsche Sprache und Literatur an der ETH in Z&uuml;rich und von 2003 &ndash; 2006 Pr&auml;sident der Akademie der K&uuml;nste Berlin. Sein umfangreiches Werk, darunter die Romane &quot;Im Sommer des Hasen&quot; (1965), &quot;Albissers Grund&quot; (1977), &quot;Das Licht und der Schl&uuml;ssel&quot; (1984), &quot;Der Rote Ritter&quot;(1993), &quot;Sutters Gl&uuml;ck&quot; (2004), &quot;Eikan, du bist sp&auml;t&quot; (2005) und &quot;Kinderhochzeit&quot; (2008) wurde mit zahlreichen Preisen ausge&shy; zeichnet, darunter der <em>Hermann-Hesse-Preis</em>, der <em>Georg-B&uuml;chner-Preis</em>, der <em>Grimmelshausen-Preis </em>und zuletzt der <em>Grand Prix de Litt&eacute;rature </em>der Schweiz.</p>

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