Die tibetische Volksliedtradition ist reich an Arbeitsliedern. Bis vor kurzem begleiteten sie nahezu alle gemeinschaftlichen Arbeitsprozesse und dienten dabei keineswegs nur der Unterhaltung und Kurzweil, sondern vor allem der rhythmischen Koordination der Arbeit. Mit der Modernisierung der materiellen Textur des Alltags gehen heute in Tibet traditionelles Wissen und Fertigkeiten und damit auch die Bindung von Liedern in der Arbeit allmählich verloren. Ebenso haben politische Kampagnen mit ihrer meist verordneten Religionsfeindlichkeit deutliche Spuren in der Überlieferung hinterlassen. Im Fokus von Kerstin Grothmanns Untersuchung stehen die Arbeitslieder des tibetischen Bauhandwerks. Auch wenn das traditionelle Aufbringen von Dach- und Bodenbelägen auf tibetischen Häusern heute nur noch selten durchgeführt wird, sind die dabei gesungenen Lieder - die 'Arshe' - aus dieser Arbeit nicht wegzudenken. Grothmann bietet eine Einführung in die unterschiedlichen Arbeitsschritte und zeigt, wie Melodie und Rhythmus in der Arbeit zum Tragen kommen. Die kommentierte Übersetzung einer Liedauswahl erschließt den Reichtum an Bildern, Motiven und Handlungen in den Liedtexten, die oft literarischen Vorlagen entstammen und deren religiöse aber auch wissenspraktische Botschaften durch das Singen in das Alltagleben integriert und über Generationen hinweg weitergegeben werden.