Die Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild.
Autor: | Gerhard Leibholz |
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EAN: | 9783428565702 |
eBook Format: | |
Sprache: | Deutsch |
Produktart: | eBook |
Veröffentlichungsdatum: | 24.04.2021 |
Untertitel: | (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Heft XII). |
Kategorie: | |
Schlagworte: | Abhandlungen Auflösung Demokratie Deutschland Duncker&Humblot Geistesgeschichte Heft Klassiker Leibholz Philosophie Politik Reden Reprints Staatsbild |
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»[Der vorliegenden Abhandlung] liegt die heute immer mehr Allgemeingut werdende Auffassung zugrunde, daß es eine voraussetzungslose, wertfreie Wissenschaft nicht gibt, daß jede Erkenntnis eine bestimmte Stellungnahme und Werthaltung voraussetzt, und daß insbesondere die öffentlich-rechtlichen Disziplinen in diesem Sinne einen besonderen, nämlich politischen Akzent haben. [...] Unbeschadet des Wissens um die Notwendigkeit der Subjektivität ist hiernach die vorliegende Abhandlung getragen von der Intention, die so radikal veränderte, politische Wirklichkeit, soweit sie Ende vorigen Jahres bereits sichtbar war, in ihrer Eigengesetzlichkeit zu erschließen und dem Willen, die gegenwärtige Lage insbesondere der Demokratie >strukturgerecht< zu erfassen. Erst eine solche Deutung der politischen Wirklichkeit ermöglicht auch, ohne daß mit den ebenso populären wie wissenschaftlich unbrauchbaren Kategorien von Schuld und Vorwerfbarkeit operiert werden muß, die strukturellen Veränderungen des künftigen Staatsbildes mit einer gewissen Verläßlichkeit aufzuzeigen.« (Aus dem Vorwort)
»Jurist, * 15.11.1901 Berlin, ? 19.2.1982 Göttingen. (evangelisch) L. begann 1918 mit dem Philosophiestudium in Heidelberg. Hier promovierte der erst Neunzehnjährige 1921 bei Richard Thoma mit einer Arbeit über >Fichte und den demokratischen Gedanken< zum Dr. phil. Nach anschließendem juristischen Studium in Heidelberg und Berlin folgten die beiden juristischen Staatsprüfungen (1922/26) und eine richterliche Tätigkeit in Berlin, zunächst als Gerichtsassessor, dann als Amtsrichter und als Landrichter am Kammergericht (1926-29). Bereits 1925 legte S. seine berühmte, von Heinrich Triepel betreute juristische Dissertation vor: >Die Gleichheit vor dem Gesetz< (1952). In Vertiefung älterer Ansätze, namentlich der amerikan. und schweizer. Verfassungsjudikatur, entwickelte er die folgenreiche Lehre von der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz, dem er damit einen neuen Inhalt gab. Die Maßstäbe, nach denen Tatbestände gerechterweise gleich oder ungleich zu behandeln sind, wollte L. zunächst dem wertgebundenen Rechtsbewußtsein der Gemeinschaft entnehmen. Unter dem Schrecken einer 1925 noch unvorstellbaren Pervertierung der Gerechtigkeitsidee modifizierte er später diese Position durch das Hervorheben unüberschreitbarer Schranken in Gestalt elementarer Menschenwürdeprinzipien. Der Gleichheitssatz enthält deshalb ein allgemeines Willkürverbot, dessen Beachtung richterlicher Kontrolle unterliegt. Damit bezog L. zugleich im Streit der Weimarer Staatsrechtslehre um die Zulässigkeit eines richterlichen Gesetzesprüfungsrechts eindeutig Stellung. Die Bestimmung des Gleichheitssatzes als Willkürverbot hat später die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachhaltig bestimmt. Frucht einer mehrjährigen Referententätigkeit am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht (1926-29) war die Habilitationsschrift >Die Repräsentation in der Demokratie< (1929, 1965). L. analysiert darin die qualitativen Veränderungen des Repräsentationsgedankens im Umbruch vom >Honoratiorenparlament< des 19. Jh. zur Volksvertretung in der modernen Massendemokratie. Seine These, mit dem Übergang zu Verhältniswahlrecht und Parteienstaat habe die Demokratie ihren repräsentativen Charakter verloren und sich in eine rationalisierte Form der identitären, plebiszitären Demokratie gewandelt, ist vielfach auf Kritik gestoßen. Bedeutsam war, daß L. die Legitimität des Parteienstaats als Basis einer spezifischen, an die Strukturen des Flächen- und Massenstaats angepaßten Integration aller Bevölkerungsgruppen nachdrücklich betonte und damit verbreiteten Ressentiments in der deutschen Staatsrechtslehre entgegentrat. Der Auflösung dieses demokratischpluralistischen Parteienstaats durch autoritäre und totalitäre Strömungen trat er in der Endphase der Weimarer Republik leidenschaftlich entgegen. 1929 folgte L. einer Berufung nach Greifswald, 1931 nach Göttingen. Wegen seiner jüd. Abkunft wurde er - nach einer Kampagne des NS-Studentenbundes - 1935 zwangsemeritiert und in die Universitätsbibliothek versetzt. 1938 emigrierte er nach England. Eine Gastdozentur in Oxford ermöglichte ihm nach zeitweiliger Internierung die Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit. Ihr Ertrag ist in dem 1965 erschienenen Sammelband >Politics and Law< zusammengefaßt. Die moralische Krise in Deutschland spiegelt sich darin auch in einer theologisch vertieften Reflexion über Verfassung und Herrschaftsordnung. Gemeinsam mit dem Bischof von Chichester, George Bell, versuchte L. die Alliierten von der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit dem >anderen Deutschland< zu überzeugen. Durch den Zwillingsbruder seiner Frau, den Theologen Dietrich Bonhoeffer, war er eng mit der deutschen Widerstandsbewegung verbunden. 1947 kehrte L. nach Göttingen zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf. 1951 wurde ihm der neuerrichtete Lehrstuhl für Politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre übertragen, den er bis zu seiner Emeritierung 1969 innehatte. Ein besonderes Wirkungsfeld eröffnete sich ihm durch seine Berufung in das neugeschaffene Bundesverfassungsgericht, dessen 2. Senat er 1951-71 angehörte. Hier hat er namentlich die Judikatur zum Parteien- und Wahlrecht sowie zum Gleichheitssatz entscheidend mitgeprägt und der Auffassung vom Status des Gerichts als eines eigenständigen Verfassungsorgans zum Durchbruch verholten (sog. Statusbericht 1952). Zahlreiche Arbeiten entwickelten frühere Gedanken unter den spezifischen verfassungsrechtlichen Bedingungen der Bundesrepublik fort. Dies gilt besonders für die 1952 erstmals erschienenen >Strukturprobleme der modernen Demokratie< (31967) und das Werk >Verfassungsstaat - Verfassungsrecht< (1973). In der Konsequenz seiner Auffassung lag es, den parteienstaatlichen Strukturen des demokratischen Willensbildungsprozesses Vorrang vor älteren Repräsentationselementen, etwa der Mandatsfreiheit des Abgeordneten, einzuräumen. Hier hat L. vielfach Widerspruch gefunden. Seine Rechtsprechungskommentare zum Grundgesetz (mit H.-J. Rinck, 1980) und zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz (mit R. Rupprecht, 1968, Nachtrag 1971) sind zu Standardwerken der Rechtspraxis geworden. Das thematische Spektrum der übrigen Publikationen aus der Zeit zwischen 1947 und 1981 reicht vom Arbeitsrecht über medien-, wirtschafts- und völkerrechtliche Probleme bis hin zu Fragen des Denkmalschutzes, der Wiedergutmachung, des Arzneimittelrechts, des Kommunalrechts und der Gebietsreform. Werke L.s wurden in 17 Sprachen übersetzt. Besonderes internationales Ansehen gewann das von ihm von 1951 bis zu seinem Tode herausgegebene >Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart<. In der Originalität und Breite seines Wissenschaftliehen Lebenswerks bezeugt sich L. als einer der bedeutendsten Staatsrechtslehrer und Politikwissenschaftler der Gegenwart.« Link, Christoph, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 117-119
»Jurist, * 15.11.1901 Berlin, ? 19.2.1982 Göttingen. (evangelisch) L. begann 1918 mit dem Philosophiestudium in Heidelberg. Hier promovierte der erst Neunzehnjährige 1921 bei Richard Thoma mit einer Arbeit über >Fichte und den demokratischen Gedanken< zum Dr. phil. Nach anschließendem juristischen Studium in Heidelberg und Berlin folgten die beiden juristischen Staatsprüfungen (1922/26) und eine richterliche Tätigkeit in Berlin, zunächst als Gerichtsassessor, dann als Amtsrichter und als Landrichter am Kammergericht (1926-29). Bereits 1925 legte S. seine berühmte, von Heinrich Triepel betreute juristische Dissertation vor: >Die Gleichheit vor dem Gesetz< (1952). In Vertiefung älterer Ansätze, namentlich der amerikan. und schweizer. Verfassungsjudikatur, entwickelte er die folgenreiche Lehre von der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz, dem er damit einen neuen Inhalt gab. Die Maßstäbe, nach denen Tatbestände gerechterweise gleich oder ungleich zu behandeln sind, wollte L. zunächst dem wertgebundenen Rechtsbewußtsein der Gemeinschaft entnehmen. Unter dem Schrecken einer 1925 noch unvorstellbaren Pervertierung der Gerechtigkeitsidee modifizierte er später diese Position durch das Hervorheben unüberschreitbarer Schranken in Gestalt elementarer Menschenwürdeprinzipien. Der Gleichheitssatz enthält deshalb ein allgemeines Willkürverbot, dessen Beachtung richterlicher Kontrolle unterliegt. Damit bezog L. zugleich im Streit der Weimarer Staatsrechtslehre um die Zulässigkeit eines richterlichen Gesetzesprüfungsrechts eindeutig Stellung. Die Bestimmung des Gleichheitssatzes als Willkürverbot hat später die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachhaltig bestimmt. Frucht einer mehrjährigen Referententätigkeit am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht (1926-29) war die Habilitationsschrift >Die Repräsentation in der Demokratie< (1929, 1965). L. analysiert darin die qualitativen Veränderungen des Repräsentationsgedankens im Umbruch vom >Honoratiorenparlament< des 19. Jh. zur Volksvertretung in der modernen Massendemokratie. Seine These, mit dem Übergang zu Verhältniswahlrecht und Parteienstaat habe die Demokratie ihren repräsentativen Charakter verloren und sich in eine rationalisierte Form der identitären, plebiszitären Demokratie gewandelt, ist vielfach auf Kritik gestoßen. Bedeutsam war, daß L. die Legitimität des Parteienstaats als Basis einer spezifischen, an die Strukturen des Flächen- und Massenstaats angepaßten Integration aller Bevölkerungsgruppen nachdrücklich betonte und damit verbreiteten Ressentiments in der deutschen Staatsrechtslehre entgegentrat. Der Auflösung dieses demokratischpluralistischen Parteienstaats durch autoritäre und totalitäre Strömungen trat er in der Endphase der Weimarer Republik leidenschaftlich entgegen. 1929 folgte L. einer Berufung nach Greifswald, 1931 nach Göttingen. Wegen seiner jüd. Abkunft wurde er - nach einer Kampagne des NS-Studentenbundes - 1935 zwangsemeritiert und in die Universitätsbibliothek versetzt. 1938 emigrierte er nach England. Eine Gastdozentur in Oxford ermöglichte ihm nach zeitweiliger Internierung die Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit. Ihr Ertrag ist in dem 1965 erschienenen Sammelband >Politics and Law< zusammengefaßt. Die moralische Krise in Deutschland spiegelt sich darin auch in einer theologisch vertieften Reflexion über Verfassung und Herrschaftsordnung. Gemeinsam mit dem Bischof von Chichester, George Bell, versuchte L. die Alliierten von der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit dem >anderen Deutschland< zu überzeugen. Durch den Zwillingsbruder seiner Frau, den Theologen Dietrich Bonhoeffer, war er eng mit der deutschen Widerstandsbewegung verbunden. 1947 kehrte L. nach Göttingen zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf. 1951 wurde ihm der neuerrichtete Lehrstuhl für Politische Wissenschaften und Allgemeine Staatslehre übertragen, den er bis zu seiner Emeritierung 1969 innehatte. Ein besonderes Wirkungsfeld eröffnete sich ihm durch seine Berufung in das neugeschaffene Bundesverfassungsgericht, dessen 2. Senat er 1951-71 angehörte. Hier hat er namentlich die Judikatur zum Parteien- und Wahlrecht sowie zum Gleichheitssatz entscheidend mitgeprägt und der Auffassung vom Status des Gerichts als eines eigenständigen Verfassungsorgans zum Durchbruch verholten (sog. Statusbericht 1952). Zahlreiche Arbeiten entwickelten frühere Gedanken unter den spezifischen verfassungsrechtlichen Bedingungen der Bundesrepublik fort. Dies gilt besonders für die 1952 erstmals erschienenen >Strukturprobleme der modernen Demokratie< (31967) und das Werk >Verfassungsstaat - Verfassungsrecht< (1973). In der Konsequenz seiner Auffassung lag es, den parteienstaatlichen Strukturen des demokratischen Willensbildungsprozesses Vorrang vor älteren Repräsentationselementen, etwa der Mandatsfreiheit des Abgeordneten, einzuräumen. Hier hat L. vielfach Widerspruch gefunden. Seine Rechtsprechungskommentare zum Grundgesetz (mit H.-J. Rinck, 1980) und zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz (mit R. Rupprecht, 1968, Nachtrag 1971) sind zu Standardwerken der Rechtspraxis geworden. Das thematische Spektrum der übrigen Publikationen aus der Zeit zwischen 1947 und 1981 reicht vom Arbeitsrecht über medien-, wirtschafts- und völkerrechtliche Probleme bis hin zu Fragen des Denkmalschutzes, der Wiedergutmachung, des Arzneimittelrechts, des Kommunalrechts und der Gebietsreform. Werke L.s wurden in 17 Sprachen übersetzt. Besonderes internationales Ansehen gewann das von ihm von 1951 bis zu seinem Tode herausgegebene >Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart<. In der Originalität und Breite seines Wissenschaftliehen Lebenswerks bezeugt sich L. als einer der bedeutendsten Staatsrechtslehrer und Politikwissenschaftler der Gegenwart.« Link, Christoph, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 117-119