Die Rolle von § 4 RAO für die Rechtsanwendung im Steuerrecht. Eine rechtshistorische Untersuchung

Studienarbeit aus dem Jahr 2021 im Fachbereich Jura - Steuerrecht, Note: 13, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Rechtswissenschaftliche Fakultät), Veranstaltung: Steuerrechtliche Rechtsanwendung im Spannungsfeld zwischen Wortlautbindung und Teleologie (Prof. Dr. Christine Osterloh-Konrad), Sprache: Deutsch, Abstract: Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde im Zuge der Erzberger¿schen Steuer- und Finanzreformen ein neues, weitreichend reformiertes Steuerrecht für die Weimarer Republik geschaffen. Dieses stellte unter anderem eine Reaktion auf die angespannte fiskalische Situation des Reichs dar. Die Reichsabgabenordnung von 1919 sollte das Mantelgesetz dieses neuen Steuerrechts sein, allgemeine Grundsätze enthalten und so die einzelnen Steuergesetze entlasten und einheitliche Rechtsanwendungsstandards gewährleisten. § 4 RAO, die bis dahin einzige Rechtsanwendungsnorm des deutschen Rechts, spielte eine maßgebliche Rolle bei der Schaffung einheitlicher Rechtsanwendungsstandards im deutschen Steuerrecht. Normiert wurde darin unter anderem die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Ferner mahnte die Vorschrift zur Berücksichtigung des Zwecks und stärkte so die Rolle der teleologischen Gesetzesauslegung im Steuerrecht im Allgemeinen. Für jenes bedeutete § 4 RAO damit einen Siegeszug der Interessenjurisprudenz. Beim RFH, der die Norm in der Folgezeit so häufig wie kaum eine andere anwandte, stellte sich eine freiere Rechtsanwendungspraxis ein. In der Folge dieser freieren Rechtsanwendungspraxis emanzipierte sich das Steuerrecht als Teilrechtsgebiet mit eigenständiger Zwecklogik insbesondere vom Zivilrecht.