Die Stadt der Betrüger

Ich hatte von einer Stadt gelesen, die vor der Wahl stand, ihr Rathaus teuer zu restaurieren oder - noch teurer - neu zu bauen, und für beide Lösungen nicht das Geld hatte. Daraus wurde die Idee geboren, die Bürger aufzufordern beziehungsweise ihnen anzubieten, Anteile am Wert des Rathauses zu erwerben. Dies war die Keimzelle meiner Idee. Allerdings wollte ich den Bürgern die ganze Stadt verkaufen. Wir hatten einen Plan, zu seiner Durchführung war es erforderlich, dass einer von uns zum Bürgermeister der Stadt gewählt wurde Natürlich waren wir uns darüber im klaren, dass bis dahin noch viel Wasser die Eider hinunterfließen würde. Viele Schritte waren nötig, um dieses Ziel zu erreichen Die Gründung einer neuen "Bewegung". Die Gründung einer Zeitung, um die neue "Bewegung" bekannt werden zu lassen und tonnenweise Schmutz über den politischen Gegner ausschütten zu können. Die Gewinnung von Mitgliedern Die Beteiligung an den nächsten Kommunalwahlen. Die Entsendung von Mitgliedern in die Ratsversammlung und schließlich die Erringung der Mehrheit im Rat oder jedenfalls die Erreichung des Status eines Züngleins an der Waage, um bei der nächsten Bürgermeisterwahl ein entscheidendes Wort mitreden zu können Blieb dabei nicht die Moral auf der Strecke? Mitnichten. Ich hatte meine persönliche Moral, und die hieß: Jeder Handel ist ehrenwert, außer der mit der eigenen Seele Und letztlich wollten sie alle betrogen werden, irgendwie. In jedem von uns steckt (mehr oder weniger verborgen) der Wunsch, der Vater des Gedankens ist. Eine Haltung, die - wie vieles - im Englischen kürzer und prägnanter mit "wishful thinking£ bezeichnet wird.

Peter Schoenau wurde am 19.12.1944 in Rendsburg, Schleswig-Holstein, geboren. Nach Besuch der Mittelschule und Ausbildung zum Großhandelskaufmann auf einem Schlachthof meldete sich Peter Schönau freiwillig zur Marine und durchlief die Offiziersausbildung bis zum Fähnrichslehrgang an der Marineschule Mürwik. Er verließ die Marine noch während des Lehrgangs auf eigenen Wunsch und ging für eine deutsche Firma nach La Paz, Bolivien. Nach seiner Rückkehr arbeitete er bei mehreren Unternehmen im Export und als Übersetzer und machte sich Anfang der 70er Jahre als Übersetzer selbständig. 1993 ließ er sich in Italien nieder, wo er seitdem als Übersetzer und Autor arbeitet. Von 2005 bis 2010 hielt er sich überwiegend in Buenos Aires auf, seit Sept. 2010 ist Coimbra, Portugal, sein zweiter Wohnsitz.