Die Welt anders

Zum Ursprung des Christentums: Text, Kontext, Lektüre Unter 'Großer Erzählung' fasst Ton Veerkamp 'eine von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder erkannte und anerkannte Grunderzählung, in der sie ihre einzelnen Lebenserzählungen miterzählt wissen, durch sie einen Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommen und so die gesellschaftliche Grundstruktur mit ihren Loyalitäten und Abhängigkeiten verinnerlichen'. Alle großen Volksreligionen sind somit Große Erzählungen. Die Lektüre alter Texte aus einer fremden Kultur verlangt Kenntnisse ihrer sozial-ökonomischen, politischen und ideologischen Umwelt einerseits und der Struktur der Texte selber andererseits. 'Die Verwandlung der Großen Erzählung' leistet beides. Sie zeigt die Geschichte eines Grundtextes der westlichen Kultur, die bei der ersten Zerstörung Jerusalems im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung anfängt und bei der endgültigen Etablierung des Christentums als herrschende Ideologie im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung endet. Unter dicken Schichten christlicher Dogmatik treten die Äußerungen von Menschen hervor, die den Entwurf einer von Autonomie und Gleichheit geprägten Gesellschaftsordnung formulierten. In der Großen Erzählung Israels, aus der das Alte Testament entstand, ging es um die Ermöglichung der Egalität, um eine klassenlose Gesellschaft, alternativ zur herrschenden Ordnung der orientalischen Antike. Kundig und eingängig zeigt Veerkamp, wie die Idee der gerechten Gesellschaft immer mehr ins Jenseits (Messianismus, Christentum) verlegt wurde. So wurden die Großen Erzählungen in Große Religionen verwandelt, wurde aus einer radikalen Alternative zu damals bestehenden Grundordnungen Affirmation von Herrschaft im Diesseits. Es gilt, diese heute ziemlich verborgene Radikalität neu zu entdecken, sie wieder auszugraben, damit die Große Erzählung für die Menschen wieder zu einem Haus werden kann und nicht nur Sprache bleibt. 'Die Verwandlung der Großen Erzählung' leistet damit auch ein Stück Erinnerungsarbeit, um zurückzuerobern, was wir verloren haben. Das Buch ist eine Übung für eine Lektüre, die Text und Kontext zusammenhält, und will ein Zeugnis für die Unverwüstlichkeit Großer Erzählungen sein.

Ton Veerkamp (1933-2022), 1957-1961 Studium der Philosophie in Nijmegen, 1962-1968 Theologie in Maastricht und New York. 1971-1998 Berater ausländischer Studierender an den Berliner Hochschulen. Autor von »Die Vernichtung des Baal« (1983), »Autonomie und Egalität« (1993), »Der Gott der Liberalen« (2005), »Die Welt anders« (2012), »Abschied von einem messianischen Jahrhundert« (2020) und zahlreicher Artikel in deutschen und niederländischen Zeitschriften.

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Der Gott der Liberalen Ton Veerkamp

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