Die ersten beiden Sprüche in Walters Reichston. Metrisch-strophische Analyse, Übersetzung, Interpretation

Studienarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 2,0, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Veranstaltung: PS Walther von der Vogelweide, Sprache: Deutsch, Abstract: Auf einer Miniatur der Großen Heidelberger Liederhandschrift, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden ist, kann man einen Mann erkennen, der auf einer Art Felsen sitzend ein Bein über das andere schlägt und auf das Knie des einen seinen Ellbogen stützt. Den leicht geneigten Kopf schmiegt er sanft in seine linke Handfläche. Sein Blick verliert sich im Nichts und bezeugt eine melancholische Ratlosigkeit, derer er in seiner meditativen Verharrung Herr zu werden versucht. Der Mann soll Walther von der Vogelweide darstellen oder besser gesagt das lyrische Ich des Reichstons, das beinahe zum Alter Ego des Autors geworden ist. Der Reichston ist das vielleicht bekannteste Werk Walthers mannigfaltigen literarischen Schaffens, dessen erste Zeile 'ich saz ûf eime steine' auch Nichtgermanisten zitieren können. Hieran sieht man, dass Walthers Reichston längst zu einem kulturellen Gemeingut geworden ist und in der älteren deutschen Literatur vom Bekanntheitsgrad her absolut auf einem Niveau mit den großen Epen 'Parzival' und dem 'Nibelungenlied' angesiedelt werden kann. Warum? Auf der einen Seite ist Walther 'traditionsbildend', da er als erster 'das Thema Politik in die Lyrik einführt', wobei er sich gleichzeitig auf Personen und Ereignisse der Zeitgeschichte bezieht und dabei auch den Zustand der menschlichen Gesellschaft erörtert, was in exemplarischer Manier an eben diesem Reichston nachvollzogen werden kann. Auf der anderen Seite offenbart Walther gleichsam sein gesamtes literarisches Genie, indem er Topoi und Metaphoriken schafft, die greifbar und mystisch zugleich seit Jahrhunderten fesseln und so zu einem großen Lesevergnügen beitragen.