Dritte Haut

Warum glaubt das Jugendamt, ich könne kein Hotel führen, nur weil die Ärzte behaupten, ich sei ein komplexer Fall? Warum glauben meine Betreuer, ich würde den Überblick verlieren, nur weil ich ab und zu die Zeit vergesse? Warum glaubt mein Vormund, ich könnte mich nicht um meine Gäste kümmern, nur weil ich ein Jagdgewehr besitze? Ich werde aus dieser Absteige ein Hotel machen, meine Gäste beobachten und ihre Geschichten auf meinem Arm tätowieren, bis ich den Barcode für mein Leben habe! Ich habe keine Zweifel - wäre da nicht der Junge, der meine Gedanken liest ... Tobias Sommers Ich-Erzähler ist ein geistig-behinderter Geschichtensammler, ein paranoider Einzelgänger, ein tötender Nicht-Vegetarier. Und er ist ein Hotelbesetzer. Während eines Integrationsprojektes übernimmt er ein verfallenes Hotel an der polnischen Grenze. Die wenigen Gäste, die nach einem Zimmer verlangen, siebt er nach einem komplexen Verfahren aus: Nur die Menschen, die ihm auf der Suche nach der Ursache seiner Krankheit helfen, dürfen bleiben. Das Herzstück seiner Suche sind die Geschichten seiner auserwählten Gäste. Geschichten über eine Lebensraumkünstlerin, über einen russischen Bierbrauer, über eine Terroristin aus dem Baskenland, über einen Jungen mit Mondgesicht, der von seiner eigenen Beerdigung berichtet. Für jede Geschichte tätowiert sich der Erzähler einen Strich auf seinen Unterarm - einen Barcode, der ihm vollständig eingescannt seine Identität entschlüsseln soll. Der Roman Dritte Haut skizziert Figuren, die uns fremd erscheinen, nicht zuletzt der Erzähler selbst, der von seiner Idee besessen mit einem Jagdgewehr in der Umgebung umherstreifen, doch je weiter er in den Hotelräumen und in den angrenzenden Wäldern vordringt, desto deutlicher wird: Die Figuren sind uns nicht fremd! Und sie rücken an uns heran, viel näher, als wir denken, wie eine zusätzliche Haut, die wir nicht wagen abzustreifen.

Tobias Sommer wurde 1978 in Schleswig-Holstein geboren. Er veröffentlichte zahlreiche Erzählungen und Gedichte in Anthologien und Einzelpublikationen. Seine Lyrik und Prosa wurde mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Die Berliner Literaturkritik bescheinigt seinen Texten 'Schönheit, Tiefe und Eleganz'. 2014 war Tobias Sommer für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert.

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