Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens.

Das Entstehen des modernen Staates und sein Heranwachsen zu seiner heutigen Gestalt sind gründlich untersucht und vielfach beschrieben worden. Der Beginn des staatsrechtlichen Denkens und seine Entfaltung zu einem eigenständigen Zweig der Rechtswissenschaft haben die verfassungsgeschichtliche Forschung dagegen nicht mit der gleichen Kontinuität beschäftigt. Auf diese Lücke hat die »Vereinigung für Verfassungsgeschichte« mit ihrer Jahrestagung 1993 aufmerksam machen wollen. Der Band gibt die Referate und Diskussionen dieser von Historikern und Juristen besuchten interdisziplinären Tagung wieder. Er setzt mit einem Referat von Jürgen Miethke bei der säkularisierten Betrachtung des weltlichen Regiments im späten Mittelalter ein und verfolgt die weitere Entwicklung mit Beiträgen von Michael Stolleis, Gerhard Robbers, Peter Badura und Martin Heckel, die an die etappenbildenden Einschnitte in der Geschichte der deutschen Staatsrechtslehre zu Beginn der Neuzeit, im frühen 19. Jahrhundert und an der Wende von der konstitutionellen Monarchie der Bismarck-Ära zur parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik anknüpfen. Die Referate und die Diskussionen analysieren die historischen Einwirkungen auf die Staatsrechtslehre und umgekehrt das Einwirken der Staatsrechtslehre auf das politische und geistige Geschehen ihrer jeweiligen Epoche. Die bis in die Neuzeit andauernde Prägung des staatsrechtlichen Denkens durch Kirche und Christentum und die Verselbständigung der Staatsrechtslehre von den kirchlichen Einflüssen haben sich in den Referaten von Jürgen Miethke und Martin Heckel sowie in den von ihnen angeregten Diskussionsbeiträgen niedergeschlagen. Das Stichwort »Säkularisation« hat in diesem Zusammenhang zu lebhaften und kontroversen Erörterungen Anlaß gegeben.