Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte

Der Schöpfungstraum vom ¿Neuen Menschen¿ ist ¿ einer der erfolgreichsten Exportartikel der frühsowjetischen Spielart (des) Utopismus¿ Das Heilsversprechen der Inkarnation als Neuer Mensch vermochte es mehr als alle marxistische Ideologie, Energien freizusetzen. Dies lag vor allem daran, dass es neben einer vordergründig kollektiven auch eine individuelle Erlösungsutopie barg, in der die seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts virulenten Erneuerungssehnsüchte von Intellektuellen und Künstlern aufgingen. ¿ Nun verhieß im sozialistischen Russland die Erlösung vom Sklavendasein (¿Heer der Sklaven, wache auf!/ Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger/ Alles zu werden, strömt zuhauf!¿ erklang es in der Internationale) viel mehr als nur einen sozialen Emanzipationsakt: die titanische Gestalt des Übermenschen schien unmittelbar wirksame Gestalt anzunehmen. Berühmt geworden ist die Vision Lev Trockijs in seinem ¿ programmatischen Werk ¿Literatur und Revolution¿ (1923). Trockij, alles andere als ein weltfremder Schwärmer, organisatorisches Gehirn der Oktoberrevolution und der im Bürgerkrieg siegreichen Roten Armee, kündet hier davon, dass der neue kommunistische Mensch ¿unvergleichlich stärker, klüger und feiner¿ werde: ¿Der durchschnittliche menschliche Typus wird sich auf das Niveau eines Aristoteles, Goethe, Marx aufschwingen. Über diesem Gebirgskamm werden sich neue Gipfel erheben.¿ Die paulinische Glaubensüberzeugung, der Mensch könne und müsse seine alte Existenz wie eine Fessel aufsprengen, sah sich nach 1917 in einen neuen Rahmen gestellt, der an einem konkreten Ort schon im Hier und Jetzt erfahrbar schien¿ Der Neue Mensch sowjetischer Ausprägung ist von der Geschichte ad acta gelegt worden, nicht jedoch die sich an ihn und seine Vorgänger knüpfenden Erlösungssehnsüchte. Aus dem Beitrag von Rainer Goldt

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