Früh und spät

So könnte eine Wintergeschichte beginnen: Es war März, Mitte März, aber der Winter war zurückgekommen. Zwei Tage lang fielen dicke, feuchte Flocken; jetzt lag der Schnee in grauen Häufchen schmuddelig und pappig an den Straßenrändern. Auf den Fahrbahnen und Wegen war er, kaum hingeweht, gleich zertaut oder zertreten worden. Es nieselte, und der Junge stellte sich in den ersten Eingang des Häuserblocks oberhalb der Böschung. Aber wir ahnen schon, es geht um etwas anderes. Denn der Junge, von dem hier die Rede ist, und der Olaf heißt, der hat offenbar ein Problem. Denn er kommt nicht nur drei Stunden und zehn Minuten später nach Hause als er sollte. Sondern er hat auch noch etwas sehr Wichtiges vergessen. Er hatte vergessen, seinen kleinen Bruder Gustav, Guschi, abzuholen. Und so sorgte er für heftigen Ärger bei seiner Mutter, die ihn ausschimpft. Und seinen Bruder Sven gleich mit: Die Mutter riss einen Zettel vom Schuhschrank und hielt ihn erst Olaf und dann Sven vors Gesicht. 'Das ist passiert! Dass ich kaputt nach Hause komme, und dann steckt der Zettel in der Tür! ,Werte Frau Roland, Ihr Sohn wurde heute nicht abgeholt. Ich wollte ihn nach dem Spätdienst nach Hause bringen, habe aber niemand angetroffen. Bitte holen Sie Ihren Sohn umgehend bei mir ab.'' Die Mutter schmiss den Zettel wieder auf das Schränkchen. 'Das ist passiert. Dass ich um halb sieben hinrennen konnte und mir stundenlang vorhalten muss, was für Pflichten ich habe, nur weil meine Herren Söhne es nicht schaffen, ihren kleinen Bruder pünktlich vom Kindergarten abzuholen!' Ihre Mutter ist richtig sauer, zumal sie eine Meisterausbildung absolviert. Da will sie sich eigentlich auf ihre beiden älteren Kinder verlassen können. Doch Sven und vor allem Olaf kommen nach einem Umzug in eine Neubauwohnung in einer anderen Stadt nicht so richtig damit zurecht, dass ihre Eltern jetzt in zeitlich unterschiedlicher Schichtarbeit tätig sind. Außerdem sollen beide häusliche Pflichten erfüllen, die jedoch sowohl Sven als auch Olaf oft vernachlässigen, wie wir gerade am Beispiel von Olaf gesehen haben. Außerdem denkt besonders Olaf voller Wehmut manchmal an die alte Heimatstadt zurück, wo er die Oma besuchen konnte und er einen Freund hat. Und dann kommt es noch schlimmer: Olaf bringt schlechte Zensuren nach Hause, darunter eine Fünf in Mathe, ein Elternbesuch ist deswegen angekündigt, und er klaut Zigaretten. Ob sich wohl wieder alles richten lässt? Aber wie?

Jutta Schlott wurde 1944 in Kolberg - heute Polen - geboren und wuchs an unterschiedlichen Orten in Mecklenburg auf. Sie studierte Germanistik und Slawistik an der Pädagogischen Hochschule in Güstrow und arbeitet einige Jahre als Lehrerin und später als Dramaturgin am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, als freie Mitarbeiterin beim Rundfunk und bei verschiedenen Zeitungen. Seit 1979 ist sie freiberufliche Autorin. Vom 1993 - 2003 lebte und arbeitete Jutta Schlott in Cottbus, einige Jahre auch als Pressereferentin und im PR-Bereich am Staatstheater Cottbus. Seit 2003 ist sie wieder in Schwerin zu Hause. Jutta Schlott ist seit 2001 Leiterin des bundesweiten Arbeitskreises LITERATUR UM WELT. Sie schreibt Erzählungen, Biographien, Kinderbücher, Hörspiele, Reportagen und Gedichte. Bibliografie Der Sonderfall, Kinderbuchverlag Berlin, 1981 Früh und spät, Kinderbuchverlag Berlin, 1982 Das liebliche Fest, Verlag Neues Leben Berlin,1984 Roman und Juliane, Kinderbuchverlag Berlin, 1985 Klare Verhältnisse, Verlag Neues Leben Berlin, 1989 Farbenspiele - Das Leben des Malers Heinrich Vogeler, Kinderbuchverlag Berlin,1989 Kalter Mai, Alibaba Verlag ,1990; 1995 TB Fischer Verlag Roman und Juliane / Golondrina, Alibaba Verlag Frankfurt/Main Ich sah etwas, was du nicht siehst -Erinnerungen aus Ostdeutschland, Wiesenburg Verlag 2000 Das Liebespaar vom Körnerplatz, Wiesenburg Verlag 2006 Spaniens Himmel - Auf den Spuren Picassos, Wiesenburg Verlag 2009 Hörspiele Vielleicht, vielleicht auch nicht, 1980 Wechselschicht, 1981 Der andere Name, 1982 Schöner Abend, 1982 Winterschlaf, 1983 Mit Kind angenehm, 1984 Uschidelniza, 1985 Mamatschi, 1986 Die Spur, 1988 Ein Kindlein im Haus, 1989

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