Führer der Verwirrten der Zeit. Bände 1 und 2

Wie Maimonides auf den Aristotelismus seiner Zeit sucht Krochmal auf die geschichtstheoretischen, idealistischen Entwürfe deutscher, protestantischer Gelehrter am Ausgang des 18. Jahrhunderts eine jüdische Antwort zu geben. Darüber hinaus ist ihm an einer Integration gegensätzlicher jüdischer Geistesströmungen gelegen. Die idealistischen Philosophien, die er autodidaktisch und vermittelt durch populäre Geschichtswerke studierte, sahen im Judentum eine überkommene Religion entsprechend der von Herder geprägten geschichtstheoretischen Behauptung, ein Volk könne nur eine Zeit der Blüte haben. Krochmal sucht dieses Paradigma seiner Zeit philosophisch begründet zu widerlegen. Zu diesem Zweck entwirft er nicht nur eine 'Konstruktion' der Geschichte im Sinne einer Graetzschen Dialektik der Aufeinanderfolge von Auf und Ab, sondern versucht einen Nachweis des die Geschichte Israels und das Volk Verbindenden zu führen. An einen vordialektischen Hegel, den 'große(n) deutsche(n) Philosoph(en)', anknüpfend, entwickelt er eine undialektische, lineare Geschichtsphilosophie des Volkes Israel. Nach Krochmal hat das Volk zwar Anteil am allgemeinen Zyklus der Völkergeschichte. Es unterscheidet sich jedoch von den anderen Völkern hinsichtlich seiner Teilhabe am 'absoluten Geist'. Dieser Geist wird von Krochmal im rabbinischen Sinne mit der 'Shechina', mit der 'Einwohnung Gottes', identifiziert, die mit dem Volk, wie im rabbinischen Midrasch beschrieben, in die Verbannung und in alle weiteren Tiefen und Höhen der geschichtlichen Entwicklung gezogen ist.

Nachman Kohen Krochmal (* 17. Februar 1785 in Brody, Galizien; ? 31. Juli 1840 in Ternopol) war ein jüdischer Religionsphilosoph, Historiker und Autor. Sein Hauptwerk More Nebukhe ha-Zeman, das er zunächst Tore des geläuterten Glaubens nannte, wurde 1851 von Leopold Zunz postum unter dem Titel Führer der Verwirrten dieser Zeit herausgegeben, als Anspielung auf das Buch Führer der Verwirrten von Maimonides. Es ist der Versuch einer zeitgemäßen Religions- und Geschichtsphilosophie auf Basis des nachkantischen Idealismus (vor allem Schelling, Hegel). In seiner Jugend erwarb sich Krochmal eine breite Bildung und erlernte neben Tora und Talmud auch jüdische Philosophie, las die Briefe von Maimonides und Abraham ibn Esra und erlernte verschiedene Fremdsprachen. Mit Hilfe seiner Deutschkenntnisse studierte er die Werke von Kant, Hegel, Fichte und Schelling. Daneben erlernte er Latein, Französisch, Arabisch und Syrisch. Seine Schüler bestätigten später seine umfassende Bildung. Im Alter von 14 Jahren heiratete Krochmal und zog zu seinem reichen Schwiegervater nach Zolkiew. 1814 begann er einen Kreis von Schülern um sich zu sammeln, führte mit ihnen Gespräche über Philosophie, Geschichte und jüdische Literatur und wurde so zu einem der bedeutendsten Vertreter der Haskala in Polen. Nach dem Tode seines Schwiegervaters begann er eine Tätigkeit als Händler. Nachdem er 1836 für zwei Jahre nach Brody zurückgekehrt war, verbrachte er die zwei letzten Jahre seines Lebens in Ternopil. Den Vorschlag, eine Stelle als Rabbiner in Berlin zu übernehmen, schlug er aus und befasste sich stattdessen mit der Niederschrift seines Buches, das er aber nicht mehr vollenden konnte.