GEO Epoche 102/2020 - Die Stunde Null

Für unsere auf größtmögliche Genauigkeit und Faktentreue eingestellte Redaktion ist die Wahl der Titelzeile in dieser Ausgabe nicht leicht gewesen. 'Die Stunde Null': Das ist zwar ein Begriff, mit dem die meisten Menschen etwas anfangen können. Ein starkes Synonym für jene kurze Phase nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945, als endlich die Waffen schwiegen, die Nationalsozialisten entmachtet, die Konzentrationslager befreit waren - und als der Wiederaufbau des verheerten Landes beginnen konnte. Die Stunde des Trümmer-Wegräumens, der Läuterung, der Entnazifizierung, der Zusammenführung vieler in den Kriegswirren versprengter Familien; der zarte Beginn von demokratischen Strukturen und das erste Aufkeimen einer langsam wieder in Tritt kommenden Wirtschaft. All dies verbinden wir mit der 'Stunde Null' - und insofern ist die Formulierung geeignet, auf dem Titel eines Geschichtsmagazins Interesse zu wecken. Aber: Sie ist unter Fachleuten auch umstritten. Denn die 'Stunde Null' suggeriert, dass Deutschland nach dem von den Nazis angezettelten Krieg mit einer Art Tabula rasa völlig neu habe beginnen können. Alles auf Null gestellt. Die schlimme Vergangenheit: abgeschüttelt und zurückgelassen, irgendwo auf der anderen Seite jener historischen Zäsur des 8. Mai 1945. Und das stimmt natürlich so nicht. Wir haben in dieser Ausgabe versucht, der Komplexität gerecht zu werden und jene bewegten Monate von der Kapitulation bis zum ersten Weihnachtsfest in Frieden in allen Facetten zu schildern: als Bruch mit der Vergangenheit, als Aufbruch ins Neue - aber auch mit all den Kontinuitäten, die aus dem 'Dritten Reich' bis in die neue Zeit hineinragten. Besonders augenfällig werden diese an den vielen nahezu nahtlos fortgesetzten Karrieren wichtiger Eliten des NS-Regimes, etwa der Laufbahn des Bankers Hermann Josef Abs, der kurz nach dem Krieg zu einer der prägenden Figuren der jungen Bundesrepublik wird (Seite 62). Auch das Leid vieler überlebender Häftlinge (Seite 30), Kriegsheimkehrer (Seite 22), Vergewaltigungsopfer (Seite 52) endet keineswegs mit der 'Stunde Null'. Ihre Traumata prägen die deutsche Gesellschaft auf Jahrzehnte mit. Um die Vielfalt der Perspektiven zu spiegeln, aus denen sich das Mosaikbild dieses historischen Moments ergibt, haben wir zudem ein besonderes Mittel gewählt: Für zwei Collagen haben unsere Rechercheure und Autoren die spannendsten Themen aus unzähligen Fach- und Erinnerungsbüchern gesammelt und zu kleinen Vignetten verdichtet. Mit mehr als 40 pointierten Einblicken in das Leben in Deutschland zwischen Niederlage und Neubeginn, montiert zu zwei großen Panoramen. Wir wünschen Ihnen gute Erkenntnisse bei der

GEO EPOCHE ist das GeschichtsMagazin von GEO und erscheint sechsmal pro Jahr. Jede Ausgabe ist einem historischen Thema gewidmet - Epochen wie dem Mittelalter, Staaten wie Preußen, Weltreligionen wie dem Judentum. Geschichte schillernd und packend ohne Staub, Fußnoten und Zahlenkolonnen. Erzählt werden Geschichten über bedeutende Personen und dramatische Ereignisse, über Alltag und Kultur, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. In genauen historischen Rekonstruktionen sowie opulenten Bildessays und Experteninterviews, mit Karten und Infokästen wird die jeweilige Epoche zum Leben erweckt und vor allem deren Alltag sinnlich nacherzählt. 'Wir nehmen die Leser mit auf eine Zeitreise', so lautet das Credo der Chefredaktion.

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