Geographien der Obdachlosigkeit in Wien

Das gegenständliche Forschungsprojekt setzt es sich zum Ziel, die Lebenswelten von obdachlosen Frauen und Männern in Wien im Jahr 2018 aus einer phänomenologischen Perspektive zu untersuchen. Im Rahmen des Projekts wurden Interviews mit 18 akut oder ehemals obdachlosen Personen geführt und deren Lebenswelten mittels mentaler Landkarten dokumentiert. Im Zentrum der Erhebung standen Orte des täglichen Aufenthalts in der Stadt sowie deren Bedeutung für die Befragten im Alltag. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich subjektiver Sinnkonstruktionen der InterviewpartnerInnen und der spezifischen Bedeutung einzelner Orte und räumlicher Cluster analysiert mit dem Ziel, die Lebenswelten von obdachlosen Frauen und Männern in Wien umfassend abzubilden und Ansatzpunkte für die Erbringung sozialer Dienste zu erarbeiten. Die Resultate zeigten, dass Überlebensressourcen, administrative Strukturen und Abläufe, Emotionen, soziale Beziehungen und Freizeitaktivitäten zu einem großen Teil die Lebenswelten der Betroffenen prägten. Darüber hinaus wurde der Spezialressource Gesundheit besondere Bedeutung beigemessen sowie sogenannten ¿Geographien der Hoffnung¿, die insbesondere Perspektiven für die Zukunft sowie Wege aus der Obdachlosigkeit und der sozialen Isolation aufzeigen. Eine wichtige Rolle für die Verbesserung der Lebenssituation und -perspektive kommt weiters einem gefestigten Selbst- und Weltbild, emotionaler Stabilität, der Möglichkeiten zu zumindest temporärer Arbeitstätigkeit bzw. Einkommenssicherung, sozialen Beziehungen zu Freunden und Familie sowie einem legalen Aufenthaltsstatus in Österreich zu. Die meisten dieser Faktoren drehen sich allerdings um den zentralen Angelpunkt eines gesicherten Wohnorts, der viele der oben genannten Teilaspekte erst zu ermöglichen scheint. Die Bedeutung gesicherter Wohn- und Lebensressourcen, positiver Zukunftsaussichten, allgemeiner Rechtssicherheit sowie professioneller psychologischer und sozialarbeiterischer Betreuung für die Erhaltung und Steigerung der Lebensqualität von obdachlosen Frauen und Männern wird anhand der Studienergebnisse somit ebenfalls bestätigt. Der Autor promovierte an der Wirtschaftsuniversität Wien in den Bereichen Soziologie und Organisationsforschung und widmet sich zur Zeit Mixed Methods Ansätzen in der Stadt- und Raumforschung. Die vorliegende Publikation ist als praktische Erweiterung der Dissertation zu den raumtheoretischen Grundlagen der Organisationsforschung zu verstehen, die ein multidimensionales räumliches Analysemodell zur Erforschung konkreter raumbezogener Themen skizziert. Durch die Verknüpfung unterschiedlicher räumlicher Analyseebenen können so Problemfelder eingegrenzt und konkrete Lösungsansätze erarbeitet werden, wie dies hier für die Lebenswelten von obdachlosen Personen in Wien passiert.