Gestörte Balance

In seinem Roman lotet Fritz J. Raddatz die Klüfte und Risse aus, die sich trotz aller Verbundenheit zwischen die Beziehung zweier Menschen schieben: Myriam und Oliver. Sie, die erfolgreiche Kostümbildnerin, ist trotz Hosenanzug, Kongreßreferaten und Fernsehaufträgen nicht die obligate «Karrierefrau»; er, in Deutschland geborener Sohn spanischer Gastarbeiter, ist Archivar, nicht nur im Beruf, sondern auch als Protokollant des eigenen Verletztseins - ein modernes Liebespaar. Geschickt und mit einem Hauch von Perfidie spiegelt der Autor die splitternden Varianten von Glück - die beiden schreiben, unabhängig voneinander, Tagebuch. Da spleißt sich im nächtlichen Notat gemeinsam Erlebtes auf in getrennt Erfahrenes - ein Abendessen mit Freunden, eine Paris-Reise, die gemeinsam gehörte CD von Thomas Manns «Wälsungenblut»: was er lustig findet, ist in ihrer Erinnerung peinlich, was ihr großartig erscheint, ist ihm gar politisch verdächtig. Es ist, als liefen zwei Tonspuren zu einem Film. Sie lieben einander dennoch. Auch noch, als ein anderer Mann auftaucht. Der Roman bekommt durch diesen Dritten, durch das immer magnetischer werdende «magische Dreieck», in dem sich die Beteiligten finden, Spannung. Höhepunkt wird eine Venedig-Reise Myriams mit diesem Berliner Arzt; durch ihn, der als Kind den gelben Stern trug, erfährt sie Oliver neu und nah. Verrat, der keiner ist.

Fritz J. Raddatz ist der widersprüchlichste deutsche Intellektuelle seiner Generation: eigensinnig, geistreich, gebildet, streitbar und umstritten. Geboren 1931 in Berlin, von 1960 bis 1969 stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages. Von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der ZEIT. 1986 wurde ihm von Fran?ois Mitterrand der Orden «Officier des Arts et des Lettres» verliehen. Von 1969 bis 2011 war er Vorsitzender der Kurt-Tucholsky-Stiftung, Herausgeber von Tucholskys «Gesammelten Werken», Autor in viele Sprachen übersetzter Romane und eines umfangreichen essayistischen Werks. 2010 erschienen seine hochgelobten und viel diskutierten «Tagebücher 1982-2001». Im selben Jahr wurde Raddatz mit dem Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm «Jahre mit Ledig». Der Autor verstarb im Februar 2015.

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