Grammatikalische Zweifelsfälle in der Lehrer*innenbildung an der Technischen Universität Braunschweig

Studienarbeit aus dem Jahr 2020 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1,3, Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig (Abteilung für Sprachdidaktik), Veranstaltung: Schülertexte korrigieren und bewerten, Sprache: Deutsch, Abstract: Der französische Moralist und Übersetzer Antoine de Rivarol bemerkte: ¿die Grammatik ist die Experimentalphysik der Sprachen¿. Wenn man sich nun Rivarols Vergleichswert, die Experimentalphysik, genauer anschaut, wird deutlich, dass sich dieser Forschungsbereich mit Theorien und Hypothesen auseinandersetzt, um diese anhand von gezielten Experimenten zu untersuchen. Dabei wird sich an Grundgrößen und Standards orientiert, die die Messung und die Beschreibung der Ergebnisse erleichtern. Abschließend kann eine Theorie belegt, widerlegt oder entsprechend geändert werden um zunächst etabliert und immer wieder überprüft zu werden. Dieser Trial-and-Error-Forschungsablauf scheint auf den ersten Blick wenig mit der Untersuchung der deutschen Grammatik gemein zu haben, die gemeinhin als festes Regelwerk verstanden wird. Nichtsdestotrotz sieht sich der Sprechende oder Schreibende häufig mit Unklarheiten konfrontiert: verschiedenen Pluralvarianten, konfusen Zeitformen und scheinbar unzähligen Flexionsformen. Ein*e studierte*r Germanist*in, z.B. ein*e Lehrer*in, könnte hier Licht ins Dunkel bringen und entstandene Diskussionen durch unumstößliche Wahrheit auflösen ¿ wenn es immer eine unumstößliche Wahrheit geben würde. Der meist reduzierte und ¿möglichst zweifelsfreie Umgang¿ mit standardisierten und reduzierten Grammatiken legt diese Annahme zwar nahe, entspricht aber nicht der Realität in der Sprachgemeinschaft. Die sogenannten ¿grammatikalischen Zweifelsfälle¿ verstoßen gegen die Regularitäten des Sprachwissens des Sprechenden, die er als geltende Norm betrachtet, und bringen ihn zum Zweifeln. Ihm sind die Trennung von System und Norm und die daraus resultierenden Variationen nicht bekannt, ebenso wenig wie Sprachwandelerscheinungen aus denen Zweifelsfälle entstehen können. Die standardisierte Schulgrammatik regt dazu an, die Grammatik nicht als instabiles, sich wandelndes Konstrukt, sondern als festgeschriebenes ¿Reich der Regeln¿ zu verstehen. Nur ein Wandel des Grammatikunterrichts in Schulen könnte zu einem realitätsnahen Umgang mit der Grammatik als System im dauerhaften Wandel führen und dazu, dass der Unterricht sich weniger mit dem Auswendiglernen von Regeln und mehr mit dem Experimentieren und Erforschen von Sprache beschäftigt und dadurch für die Lernenden erfahrbar gemacht wird. Denn, so Dürscheid: ohne Zweifeln bzw. das Problembewusstsein, ist kein Erkenntnisfortschritt möglich. [...]