-Grauer- -Adane-

Ich weiß nicht zu sagen, wie lange ich gestanden und gesehen und gelauscht habe. Die Katzen begannen zu schreien wie ungezogene Kinder. Schräg gegenüber, auf Langheinrichs Schuppendach, gerieten sie sich gegenseitig gehörig ins Fell. Liebestoll, wie sie waren. Da sah ich einen Kater, wie ich ihn mein Lebtag noch nie gesehen hatte. Die Zunge soll mir lahm werden, wenn ich lüge. Er war fast doppelt so groß wie das andere Katzenvolk. Er hatte graues langes Fell und weiße Flecken an Kehle und Brust. Oh, wie er sich auf die Hinterbeine stellte. Und was für einen wilden Gesang er anstimmte. Ja, ein Wilder, ein Räuber war er. Und was für Hiebe er unter seinen Rivalen austeilte. Die schönste Kätzin nahm er sich. Krügel, des Grafen Jäger, war schon lange hinter dem Grauen her. Er fragte uns Leutaer oft, ob wir den Wildkater gesehen hätten. Der Graf bestünde auf sein Fell. Er sei ein Wilderer. Keiner von uns gab dem Krügel einen Hinweis. Der Graue war schlau und vorsichtig. Er lebte versteckt in den Felsen. Das ganze Jahr über sah ihn keiner. Nur im Frühjahr suchte er die Kätzinnen. Dann verlor er wie alle Verliebten jegliche Vernunft. Er wollte kämpfen, war eitel, eifersüchtig und unbeherrscht.

Gunter Preuß, geboren 1940 in Leipzig, studierte an der Ostberliner Fachschule für Artistik. Aus gesundheitlichen Gründen musste er das Studium abbrechen. 1970-1973 Direktstudium am Institut für Literatur 'Johannes R. Becher', danach freischaffend tätig. Von 1986 bis 1988 unterrichtete er am Literaturinstitut. Lebt heute in Lützschena bei Leipzig.

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