Ich bedaure nichts

"Ich habe zu früh Erfolg gehabt, den falschen Mann geheiratet, in den falschen Kreisen verkehrt; ich habe zu vielen Männern gefallen und an zu vielen Gefallen gefunden", schreibt Brigitte Reimann 1959. Vielleicht sind diese Tagebücher ihr eigentlicher Roman: die Lebensgeschichte einer leidenschaftlichen, lebenshungrigen, kompromißlosen Frau und zugleich eine Dokumentation des Alltags in den fünfziger und sechziger Jahren. "Ich weiß nicht, wann ich wahrhaftig ich selbst bin, am Schreibtisch oder sonst. Ich frage mich, ob all meine Kraft und meinen Mut die auf einem Blatt Papier geschaffenen Menschen fressen oder ob ich gar keine Kraft und keinen Mut habe und sie gerade deshalb meinen Gestalten gebe." Brigitte Reimann schrieb diese Sätze mit 29 Jahren. Mit der für sie typischen Radikalität benannte sie ihre Konflikte als Autorin und als Frau: leben wollen und schreiben müssen, geliebt werden wollen und wahrhaftig sein müssen. Sich allem immer ganz hinzugeben, und zwar sofort, gehörte zu ihren dominierenden Charakterzügen, und sie selbst stand hilflos der eigenen Lebenswut gegenüber und trieb sich doch ständig an: "Wer weiß, wie lange ich noch lebe ..." Gestorben ist sie zehn Jahre später an Krebs, aber eigentlich war es die Überdosis Leben, die sie ihrem Körper zugemutet hat - Affären, Arbeit, Alkohol -, die sie so früh sterben ließ, und eben jene zerstörerischen Selbstzweifel. So manisch, wie sie alles betrieb, hat sie seit ihrer Jungmädchenzeit Tagebuch geführt. Die frühen Aufzeichnungen hat sie selbst vernichtet. Dieser erste Band der Edition ihrer Tagebücher setzt ein, als sie sich von ihrem ersten Ehemann zu trennen beginnt, den Schriftsteller Siegfried Pitschmann kennenlernt und mit ihm in eines der neuen Industriezentren, nach Hoyerswerda, zieht. Dort schreibt sie zwei ihrer wichtigsten Bücher, und die Lebensbedingungen in Hoyerswerda drängen ihr den Stoff für "Franziska Linkerhand" auf. Wegen ihres leidenschaftlichen Engagements wird sie in Kommissionen des Politbüros berufen, aber bald wird ihr klar, daß die falschen Leute sie für ihre Ziele vereinnahmen wollen. Und so sind die Tagebücher nicht nur Dokument der Emanzipation einer Frau von herrschenden Moralvorstellungen und einer Schriftstellerin von dogmatischen Erwartungen, sondern auch einer politischen Desillusionierung.

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