Jenseits der Erinnerung - Verbrechensgeschichte begreifen

Über 70 Jahre danach stellt sich dringlich die Frage, wie sich historisches Begreifen und politisch-ethische Orientierung substantiell verknüpfen lassen. Die Geschichtskultur in Deutschland hat sich in den letzten 30 Jahren einschneidend verändert. Die Bewahrung des Gedächtnisses an den Holocaust gehört zur Staatsräson der Bundesrepublik. Aus vielen lange verdrängten Konzentrationslagern sind institutionalisierte Gedenkstätten geworden. Mit der 1999 etablierten Gedenkstättenkonzeption ist der Bund an der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und auch des DDR-Kommunismus beteiligt. Unverkennbar ist jedoch der Trend, Geschichte und Geschichtsbewusstsein auf Erinnerung zu reduzieren und diese für den Königsweg von Demokratie- und Menschenrechtserziehung zu halten.Im Gegensatz dazu wird in diesem Band davon ausgegangen, dass weder das individuelle noch das historische Erinnern als solche automatisch identisch sind mit (selbst-)kritischem Lernen aus unannehmbarer Geschichte (Imre Kertész). Zur Debatte stehen neue Herausforderungen. Wie lässt sich Einsicht in die fortbestehende Relevanz der Auseinandersetzung ohne Zeigefinger und jenseits vordergründiger Analogien bewahren und begründen? Wie wirken sich Medialisierung und Kommerzialisierung aus? Was kann und soll die Auseinandersetzung mit im Kern deutscher Geschichte in der Migrationsgesellschaft leisten?