Landpartie. Ein Idyll

Ver­spielt, de­tail­ver­liebt und betont des­inte­res­siert an dra­ma­tisch vo­ran­ge­trie­bener Hand­lung, folgt der ver­däch­tig viel­wis­sen­de Erzäh­ler seinem ungleichen Figuren-Trio ¿ Wer­be­agen­tur­chefin Gisa und ihre beiden Mit­ar­bei­ter, Tex­ter Werner und Prak­ti­kant Thor­sten ¿ auf dem gemeinsamen «Betriebs­ausflug». Per Rad geht es aus der Stadt hinaus zum abgeschie­de­nen locus amoenus: Kühler See, schattige Bäume, reine Luft, das sanfte Säu­seln der Elemente. Man lagert sich um den gedeckten Wiesentisch, erzählt Ge­schich­ten, tauscht sich aus über die Freuden des Landlebens, des gesel­ligen Zusammenseins und der Liebe. Etwas jedoch scheint mit der Harmonie von Mensch und Natur ebenso faul zu sein wie mit dieser selbst, nicht weniger als mit den Ver­hält­nis­sen der Gesellschaft, der Charak­tere und ihrer Bezie­hungen. Für April ist es viel zu heiß, Blü­ten­träger ent­fal­ten ihre Pracht zur Un­zeit, Tiere ver­halten sich merk­würdig, und statt mit Erbau­li­chem auf­zu­war­ten wuchern die beim Picknick herum­ge­reichten Hi­stör­chen nur so mit Splatter­effek­ten. Auf dem Heimweg passiert eine Panne ¿ die aber nur der Beginn einer in immer ver­störendere Untiefen führenden Serie ist. Ihrem philosophischen Gehalt nach behandelt die Erzählung "Landpartie. Ein Idyll" das Thema Entfremdung, durchgespielt anhand der drei Hauptcharaktere in ihren Beziehungen zueinander sowie auf verschiedenen Ebenen ihrer Welt- und Selbstbezüge. Die Problematik einer als substanziell defektiv erscheinenden conditio humana ist als Gegenstand literarischer Darstellung nicht neu, wird hier aber vor dem Hintergrund des aktuellen Metanarrativs vom globalen Klimawandel insofern in eine erweiterte Perspektive gerückt, als Fremdheitserfahrungen nicht nur für die Subjekte in ihrem Verhältnis zu sich selbst, ihren Gefühlen, ihrer Körpern, ihrer Sprache wie auch zu den Erscheinungen der Natur als bestimmend herausgestellt werden, sondern ebenso für das Verhältnis einer aus den Fugen geratenen Objektwelt zu sich selbst. Die ironische Pointe des Textes besteht in der mit der Gattungsbezeichnung "Idyll" fingierten Anknüpfung an ein tradiertes literarisches Genre: die Anakreontik des 18. Jahrhunderts, deren ästhetische Agenda bekanntlich gerade in der Überwindung der Natur-Kultur-Dichotomie bestand: poetisch-utopische Rekonstruktion eines als "ursprünglich" hypostasierten Zustands, in dem Geist und Sinnlichkeit versöhnt wären, das Verhältnis von Mensch und Natur als das eines friedlichen Einklangs und gewaltfreien Austauschs dauerhaft sich bewährte. Demgegenüber verwandelt sich in "Landpartie" alles idyllische Material in Stoff für Albträume - von denen freilich am Ende niemand einen Schaden davonträgt, der größer wäre als der, den er oder sie von Anfang an hatte.

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