Anselm Haverkamp fasst seine Arbeiten zum Begriff der Latenz systematisch zusammen und exemplifiziert die These der Latenz des Ästhetischen als historische Kategorie an einer Reihe von Beispielen aus Literatur und Kunst, die von Livius über Bruegel bis Beckett reicht. Latenz ist ein methodisch unterbelichteter Aspekt der Theoriebildung, der eine Verlegenheit der historischen Einschätzung zum Ausdruck bringt. Sie scheint der kaum begriffene Inbegriff dessen, was man gemeinhin Historizität nennt. Weil das latent Wahrgenommene in der Anmutung historischer Quellen nur punktuell zu fassen ist, entzieht sich und widerspricht die Latenz den systematischen Unterstellungen von Tendenz oder Teleologie qua Entwicklung oder Fortschritt. Sie scheint pure Kontingenz, aber kontingent ist nur ihre Oberfläche. In Literatur und Kunst, Texten und Bildern, wird die Latenz als Vorstruktur im kontingent Erfahrenen auf eine paradoxe Weise greifbar, die seit Baumgarten ästhetisch heißt. In der Ästhetik der Latenz taucht aus der Unübersichtlichkeit des Geschehenen »Geschichte« auf.

Anselm Haverkamp lehrte seit 1988 als Professor of English an der NYU in New York; seit seiner Emeritierung ist er Honorarprofessor für Philosophie an der LMU München. Seine Schriften widmen sich konzeptuellen Fragen von Rhetorik, Ästhetik und Epistemologie.

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