Die Autorin beschreibt ihre Kindheit in den Graubündner Alpen. Auszug: 'In unserem Dörfchen gab es eine Sommer- und eine Winterschule. Der Besuch der Winterschule war obligatorisch. In die Sommerschule konnte gehen, wer wollte. Selbstverständlich besuchte ich die Sommerschule, schon aus dem einfachen Grunde, weil, wäre ich zu Hause geblieben, ich tagelang im glühenden Sonnenbrande auf endlos weiten Wiesen hätte Heu nachrechen müssen. Außerdem trieb mich in diesem meinem zehnten Lebensjahre ein fast krankhafter Ehrgeiz in diese Sommerschule. Ich hatte nämlich im vergangenen Jahre ein selten gutes Zeugnis erhalten, stand doch darin, dass ich während des Schulbesuchs »ausgezeichnet fleißig« gewesen sei, ein Zeugnis, das Generationen vor mir niemand aufzuweisen imstande gewesen wäre. »Ausgezeichnet fleißig!« Das ganze Dorf sprach davon, nämlich wenn ein Huhn ein Ei legte, sprach auch das ganze Dorf darüber, so interessiert waren die lieben Mitmenschen damals in dem kleinen Dorfe. Dieses Mal waren auch alle merkwürdig einer Meinung, nämlich dass ich dieses Zeugnis überhaupt nicht verdient habe, dass ich ein ganz nichtsnutziges kleines Mädchen sei und man den Lehrer einfach nicht begreifen könne. Ich jedoch kümmerte mich nicht im geringsten um die Giftworte, die ich rechts und links zu hören bekam, sondern blähte mich wie ein Frosch in der Sonne, sah nur von Zeit zu Zeit in mein Zeugnis, um mich zu vergewissern, dass das Wörtchen »ausgezeichnet« auch wirklich und wahrhaftig noch dastand und nicht etwa plötzlich wie ein Vogel davongeflogen sei. Es stand aber unverrückbar da, lachte mich an, entzückte mich, berauschte mich derart, dass ich den festen Vorsatz fasste, auch in diesem Jahre mir dieses wunderbare Prädikat zu verschaffen, und mit diesem, wie mir schien heiligen Entschlusse betrat ich die Sommerschule.

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