Minderheiten und Mehrheiten

In der aufgeheizten öffentlichen Debatte erscheinen die monotheistischen Religionen als Ursache von Gewalt und religiöser Intoleranz. Radikale Gruppen bedienen sich der Gewaltgeschichte und der religiösen Polemik der mittelalterlichen Jahrhunderte für ihre politischen Strategien. Dabei nutzen sie die weit verbreitete Annahme, dass gegenwärtige Erfahrungen religiöser Komplexität eine neuartige Erscheinung sind, die den vermeintlich ursprünglichen Zustand entstellen. Es scheint daher angebracht, sich die bekannte Tatsache vor Augen zu führen, dass die Duldung anderer monotheistischer Gruppen in den christlichen und islamischen Herrschaftsgebieten Eurasiens in den mittelalterlichen Jahrhunderten üblich gewesen ist. Tatsächlich scheint die echte monoreligiöse Situation mancher Regionen als erklärungsbedürftige Ausnahme. Ferner waren die herrschenden christlichen oder islamischen Gruppen nicht selten zu Beginn in der numerischen Minderheit. Was bedeutet dies für die verflochtene Geschichte Eurasiens? In welchem Verhältnis standen religiöse Abgrenzung und soziale und kulturelle Verflechtung? Zu diesen Fragen wurden in den letzten Jahren neue Forschungsansätze entwickelt, die hier diskutiert und systematisiert werden sollen.



Dorothea Weltecke, Goethe-Universität Frankfurt.

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