Wenn es eine Tätigkeit gibt, die in besonderem Maße Leben und Lebendigkeit symbolisiert, so ist es der Tanz. Was aber, wenn es nicht die Lebenden sind, die tanzen, sondern die Toten? Das Motiv des Totentanzes kann auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken. Seit dem ausgehenden Mittelalter nahm man sich der zum Leben erweckten Toten, die die wahrhaft Lebenden unabhängig von Alter, Geschlecht und Stand heimsuchen, durch alle Epochen hindurch an. Entstanden sind Darstellungen des Todes in Form lebendiger Skelette, die sich unter die Menschen mischen und diese zwingen, ihnen in den Tod zu folgen - mal stehen sie still in deren Rücken, mal zerren sie an ihnen oder fallen zu Pferde über ganze Dörfer her, mal bleiben sie in tanzenden oder musizierenden Gruppen unter sich. Sofern das Mittelalter auch erscheinen mag, so nah ist uns doch das, was der Totentanz zum Thema macht: Die Unvorstellbarkeit des Todes wie auch dessen gerne verdrängte Allgegenwart. Mit dem Tod tanzen hat einen spezifischen medialen Fokus gewählt: den Film. Anders als Gemälde, Fresken und Grafiken eröffnet dieses Medium durch seine Eigenschaft, stillgestellte Bilder in Bewegung zu versetzen, die Möglichkeit, den Tod tatsächlich 'zum Tanzen zu bringen'. Und so führen die Bilder, die zu 'laufen' beginnen, bereits um 1900 erneut zusammen, wofür es schon Jahrhunderte zuvor eine statische Bildsprache gab: Tod und Tanz. Filmische Darstellungen von Totentänzen sind folglich so alt wie das Medium selbst und lassen sich bis in die Gegenwart weiterverfolgen. Wie der Film dieses traditionsreiche Motiv fortschreibt, es verändert und umwendet und wie er dafür sein (audio)visuelles wie auch erzählerisches Potential nutzt, untersucht dieses Buch an vielfältigen Beispielen aus der Filmgeschichte. Diese reichen vom expressionistischen Stummfilm der 1920er bis ins Hollywoodkino der 2010er Jahre, vom Dokumentar- und Trickfilm bis hin zu Videos aus dem Kontext der zeitgenössischen Kunst. Erkundet werden unter anderem Filme von Fritz Lang, Sergei Eisenstein, Walt Disney, Pier Paolo Pasolini, Terrence Malick, Quentin Tarantino, Lars von Trier und Wim Wenders.

Jessica Nitsche (PD Dr. phil.) ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin und lehrt u.a. an der Universität Paderborn (venia legendi: Kunst- und Medienwissenschaft). Zuvor war sie Postdoc-Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung und Research Fellow der Stiftung imai, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Promoviert wurde sie mit der Arbeit Walter Benjamins Gebrauch der Fotografie (Kadmos 2010) und war in diesem Rahmen DFG-Stipendiatin innerhalb des Graduiertenkollegs 'Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung'. Ihre aktuellen Forschungsprojekte widmen sich dem Dokumentarischen (dessen Diskursanalyse, medialen Erscheinungsformen, Hybridisierungen und politischen Potentialen) und der Geschichte der Medienkunst. Sie ist im Neofelis Verlag Mitherausgeberin der Reihe Relationen. Essays zur Gegenwart.