Mythen in der Politik der DDR

Die Implosion des Gesellschafts-und politischen Systems in der ehemaligen DDR gibt den Sozialwissenschaften eine Reihe von Fragen auf, die nicht allein durch die Analyse des politischen Systems, der Effizienz der ökono­ mischen Ordnung oder der machtpolitischen Einbindungen erklärt werden können. Konstellationen zwischen Zusammenbruch des Systems und politi­ scher Kultur und Psychologie sind ebenso wichtig für die Untersuchung politischer Entwicklungen in der DDR wie die vorangegangenen Gesichts­ punkte. Gerade in gesellschaftlichen Umbruchsituationen spielen Wertvor­ stellungen, Gefühle und Wahrnehmungen für die Erklärung politischen Verhaltens eine außerordentlich große Rolle. Ich gehe davon aus, dass ge­ sellschaftliche Wandlungsprozesse nicht nur durch berechenbare Kosten­ Nutzen-Verhältnisse unterlegt sind, sondern dass sich jahrzehntelang zu­ rückgehaltene und nach außen verschlossen gehaltene Einstellungen und Empfindungen, die bei den einzelnen irgendwann entstanden, sich aufein­ ander zu bewegen und schließlich in den Strom des gemeinsamen Handeins münden, einen ebenso großen Einfluss auf die Entwicklung der politischen Gemeinschaft haben. "Politische Werte, Gefühle und Meinungen -heißt es bei Gabriel Almond - sind weder bloße Reflexe sozialer und politischer Strukturen, noch sind sie reduzierbar auf rationelle Entscheidungen von Individuen. Die politischen Inhalte in den Köpfen von Bürgern und Eliten sind komplexer, langlebiger und autonomer als Marxismus, Liberalismus und rational choice Theorie glauben machen wollen. "] In der vorliegenden Publikation wird nun die Absicht verfolgt, der Ent­ stehung, der Festigung, dem Wandel und schließlich dem Verfall von politi­ schen Meinungen, Einstellungen und Verhalten in der DDR auf dieSpur zu kommen.