Neue Sachlichkeit, Angestelltenkultur und Geschlecht

Bachelorarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, DaF, Note: 1,7, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (Philosophische Fakultät), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Zielsetzung dieser Arbeit verlangte die Untersuchung der Realitätsnähe des Romans unter ökonomischen, sozialen und kulturellen Gesichtspunkten. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Konzeption der Figur Doris für die junge, weibliche Angestellte in den rationalisierten Büros und Betrieben der Weimarer Republik repräsentativ war. Die prosperierende Kulturindustrie offerierte massenhaft Zerstreuungsangebote, die mit Begeisterung wahrgenommen wurden und für viele Angestellte Fluchtpunkte darstellten. Auch Doris erliegt den angebotenen Scheinwelten und Blendungsversuchen, die sie aus den Massenmedien rezipiert; ihre Erlebnisse schildert sie in einer Art Drehbuch. Dabei rekurriert sie nicht nur auf zeitgenössische Inhalte aus Film und Schlager - ihr Tagebuch weist darüber hinaus auch cineastische Stilelemente auf. Irmgard Keun greift die öffentliche Diskussion über Sexualität, Prostitution und Moral auf und widmet sich explizit diesen Themen. Doris' anfängliche sexuelle Selbstbestimmtheit, der Einsatz ihres Körpers als Produktionsmittel und die Darstellung von Prostituierten stehen exemplarisch dafür. Darüber hinaus findet im Roman eine Auseinandersetzung mit dem Typus 'neue Frau' statt. Das kunstseidene Mädchen lässt sich im Spannungsfeld von Ökonomie, Massenkultur und Geschlechterrollen verorten. Die Verknüpfung dieser Topoi wird besonders am Motiv, 'ein Glanz' zu werden, deutlich. Hier werden kulturindustriell generierte Lebensentwürfe und Scheinidyllen 'neuer Frauen' mit ihrer ökonomisch häufig prekären Situation verbunden, werden Mode, Filmstars und Glamour der Weltwirtschaftskrise, Armut und Prostitution gegenübergestellt. Das kunstseidene Mädchen ist damit nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit dem neuen Frauenbild der Zwanziger Jahre, es ist auch eine Antwort auf die Versachlichung der Lebenswelt und die zunehmende Rationalisierung. Irmgard Keuns Text unterscheidet sich aber von anderen neusachlichen Angestelltenromanen durch seine Binnenperspektive. Anders als männliche Autoren kann sie als Frau, die selbst als Stenotypistin in einem Büro gearbeitet hat, andere Blickwinkel auf den Arbeitsalltag, auf die Freizeit- und Vergnügungskultur und vor allem auf die weibliche Sexualität öffnen. Im Gegensatz zu Kracauers Reportage blickt sie auf die kulturindustriellen Verblendungszusammenhänge aus der naiven Sicht einer Angestellten.

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