Pseudepigraphie und literarische Fälschung im frühen Christentum

Pseudepigraphen galten in frühchristlicher Zeit fast ausnahmslos als literarische Fälschungen. Weder für die griechisch-römischen Schulzusammenhänge noch für die frühjüdische Literatur oder das früheste Christentum läßt sich nachweisen, daß Pseudepigraphen als Falschzuschreibungen ohne Täuschungsabsicht abgefaßt oder rezipiert wurden. Zwar wurde eine Schrift in der Antike noch als authentisch angesehen, wenn lediglich ihr Wortlaut nicht von der Person stammte, der sie zugeschrieben wurde. Sie galt aber als unauthentisch, falls man ihren Inhalt nicht auf den Autor zurückführen konnte, dessen Namen sie trug. Dieser Grundsatz wurde auch auf Schriften angewandt, die mit einem Offenbarungsanspruch ausgestattet waren. Inhaltlich unauthentische Apostelschriften haben in der frühen Kirche daher mit hoher Wahrscheinlichkeit als literarische Fälschungen gegolten. Dementsprechend wurden als solche identifizierte Pseudepigraphen von ihren altkirchlichen Lesern auch dann nahezu einhellig als kanonunfähig verworfen, wenn sie als orthodox galten. Kanonische Pseudepigraphie wurde in der frühen Kirche im Anschluß an jüdische Überzeugungen abgelehnt, weil Gott nicht lüge, heilige Schriften insgesamt Wort Gottes seien und diese deshalb keine Lügen enthalten könnten. Die Verfasser pseudepigrapher Schriften haben wahrscheinlich ihre literarischen Fälschungen dadurch gerechtfertigt, daß sie das Recht zur positiv motivierten Nutzlüge nicht auf den profanen Bereich beschränkten, sondern auf das Gebiet der Religion ausdehnten.

Geboren 1965; Professor für Neues Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen, Adjunct Professor für Neues Testament an der Evangelische Theologische Faculteit Leuven (B) und Visiting Professor für Neues Testament an der Theologische Universiteit Kampen (NL).

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