Radiophonic

'Das Radio' wird es nie gegeben haben. Von Anfang an sind es alle möglichen erfinderischen Radiopraktiken und Radiotheorien, die den gesamten akustischen Raum abtasten nach spezifischen Effekten, Geräuschen, Spuk und Störungen, an denen sich das Medium selbst im Unterschied zur menschgemachten Sendung oder Nachricht zeigt. Die Aufsätze und Essays im vorliegenden Band dokumentieren diese Experimente zwischen Signal und Rauschen, Medium und Sendung, Effekt und Bedeutung im Hinblick auf Formen der Musik und der Hörkulturen im 20. und 21. Jahrhundert. Sowohl Ingenieure wie Nikola Tesla oder William Henry Preece als auch Musiker:innen, die mit Radiotechniken arbeiten wie John Cage, Pauline Oliveros, Karlheinz Stockhausen oder, aktuell, Steve Goodmann (Kode9) und Michaela Melián denken in diesem Band über die doppelte Struktur des Radios zwischen materieller Apparatur und immaterieller Sendung nach. Mit dem Radio als Medium setzen sich Autor:innen verschiedenster Disziplinen auseinander, so der Instrumentenbauer Jörg Mager, Pionier:innen des Radiomachens wie Pierre Cusy und Gabriel Germinet, vom Schriftsteller Alejo Carpentier bis zur Künstlerin Birgit Kempker. Allerdings stellt sich mit den Praktiken und Theorien der Radiophonie überhaupt die Frage einer Unterscheidung von Künstler:innen, Techniker:innen, Musiker:innen und Komponist:innen neu - Musiker wie Kurt Weill oder Arnold Schoenberg werden zu Theoretikern des Radiosounds. Radioleute beschreiben ihre Arbeit als Erzeugung neuer Räume, etwa Lance Sieveking um 1934 bei der BBC. Unter den Vorzeichen der drahtlosen und jetzt digitalen Übertragung von Klängen verändert sich nicht nur das Konzept des Komponierens, sondern auch ein Konzept davon, was unter Musik zu verstehen ist. Die Sammlung setzt sich aus 42 teils unbekannten, teils einschlägigen Texten zusammen. 21 davon sind Originalübersetzungen ins Deutsche. Damit macht der Band sowohl Entdeckungen aus dem deutschen Sprachraum als auch solche aus englischen, spanischen und französischen Kontexten erstmals einem deutschsprachigen Publikum zugänglich.