Reden, Fragmente und Testimonien

Für Gorgias ist Sprache und Rede nicht ein neutrales Medium zur Übermittlung von Sachverhalten, sondern selbst eine Sache eigener Art und als solche hervorragendstes Organ des Menschen, seine Welt praktisch zu verändern. Mitteilung ist Teilnahme an Situationen, die für Menschen jeweils relevant und bewegend sind. Hörend speichern wir nicht Informationen, sondern finden uns ein in die Zugehörigkeit zu den Sachen und Personen von »Interesse«, denen wir so eine Mitsprache in unserem Leben einzuräumen bereit sind. Allein auf solch ein Grundverständnis von Sprache baute eine mit öffentlicher Funktion betraute Rhetorik und allein hierauf baut auch von jeher die Dichtkunst, von welcher auch Gorgias für seine Redekunst das Maß nahm. Mit der vorliegenden Neuausgabe sämtlicher überlieferter Texte und Nachrichten nebst deren erster vollständiger Übersetzung ins Deutsche wird eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der klassischen Antike vorgestellt. Die Einleitung des Herausgebers gibt biographische Hinweise und geht ausführlich auf Gorgias' Verhältnis zur Sprache ein.

Gorgias von Leontinoi wird um 485 v. Chr. geboren. Als Gelehrter und Redner genießt der Sophist Georgias hohes Ansehen und soll nicht nur das außerordentlich hohes Alter von 109 Jahren erreicht, sondern mit seiner Tätigkeit als Rhetor auch großen Reichtum erworben haben.Die große Wirkung seiner Reden auf die Zeitgenossen ist u.a. durch den platonischen Dialog Gorgias belegt. Von ihm selbst überliefert ist das rhetorisches Lehrstück Lob der Helena, sowie die Abhandlung Über das Nicht-Seiende oder über die Natur. Diese ist in ihrer Deutung umstritten und gilt in ihrer parodistischen Ausrichtung den einen als 'nihilistische Brandschrift', den anderen als Parodie auf das Lehrgedicht Über das Seiende des Parmenides. Die vertretenen Thesen sind, daß 1. nichts existiert, 2. selbst wenn etwas existierte, es nicht erkennbar wäre und 3. selbst wenn etwas erkennbar wäre, es nicht mitgeteilt werden könnte. Gorgias hat entscheidend zur Entwicklung einer rhetorischen Kunstprosa beigetragen, indem er auch für die Prosa eine poetische Ausdrucksweise fordert und die bewußte Anwendung bestimmter stilistischer Schmuckmittel ('gorgianische Figuren') verlangt.

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