Rheinsberg

Im Jahr 1911 verlebten Kurt Tucholsky und Else Weil in Rheinsberg einige schöne Urlaubstage. Zurück in Berlin schrieb Tucholsky dann etwas, was man eher mit der Antike in Verbindung bringt als mit dem 20. Jahrhundert: eine literarische Idylle. Tucholsky kümmerten Mode und Zeitgeist wenig. Ihn beschäftigte vielmehr ein alltägliches Missgeschick: Zwei junge Menschen verlieben sich und finden keine Freiräume, ihre Gefühle offen und ehrlich auszuleben. Literarisch wurde ihnen geholfen, und dafür musste nicht einmal der Fundus der alten Idyllendichter geplündert werden: Hirten, Putten oder Badenixen sucht man in Rheinsberg vergeblich. Fürs Liebesglück genügt eine kleine Wunderwaffe: der dadaistische Sprachgebrauch. Mit Scherz und Unsinn lassen sich nämlich die Feinde der Verliebten vertreiben: die spiessigen Bürger, die spröden Monisten und die engherzigen Ehrgeizlinge. Das Pärchen selbst leistet dabei herzlich wenig, es feiert nur sich selbst, seine Fantasie und sein Erleben. Mit seiner modernen Idylle gelang Tucholsky etwas wahrlich Seltenes: ein Prosatext, der glaubhaft fürs kleine Glück wirbt. Kein Wunder, dass Rheinsberg ein grosser Publikumserfolg wurde.

Kurt Tucholsky wird am 9. Januar 1890 in Berlin als Sohn eines jüdischen Bankkaufmanns geboren. Sein Vater stirbt bereits 1905. Vier Jahre später nimmt Tucholsky ein Jurastudium auf und beginnt parallel dazu als Journalist für linksliberale Zeitschriften zu arbeiten. 1912, noch zu Studienzeiten, veröffentlicht er mit der idyllisch-erotischen Liebeserzählung Rheinsberg einen ersten Erfolgstitel. Im April 1915, kurz nach Beendigung des Studiums, wird er eingezogen. Er nimmt am Ersten Weltkrieg zunächst als Frontsoldat, später als Herausgeber einer Feldzeitung teil und kehrt 1918 als überzeugter Pazifist aus dem Militär zurück. Für zwei Jahre übernimmt er die Chefredaktion eines satirischen Wochenblatts, dann schreibt er vor allem für die linksliberale Wochenzeitschrift Weltbühne. Seine unzähligen Beiträge veröffentlicht er unter wechselnden Pseudonymen, darunter Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel. Tucholsky wird zu einem der führenden Publizisten der Weimarer Republik. Kompromisslos kritisiert er den reaktionären Geist, die verbohrte Vaterlandsliebe und die militaristische Gesinnung der Deutschen. Daneben schreibt er Lieder, Revuen, Glossen und satirische Gedichte. Er ist zweimal kurz verheiratet, aber nie treu. In mehreren linken Gruppierungen engagiert sich Tucholsky auch direkt politisch. 1924 geht er als Korrespondent nach Paris. Von nun an lebt er, wie sein Vorbild Heinrich Heine, nur noch sporadisch in Deutschland. 1930 siedelt er nach Schweden über und gibt die journalistische Arbeit nach und nach auf. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 schwinden seine Publikationsmöglichkeiten in der Heimat. Im August desselben Jahres wird er ausgebürgert, seine Bücher werden verboten und verbrannt. Nach längerer Krankheit und in tiefer Resignation stirbt Tucholsky am 21. Dezember 1935 an einer Überdosis Schlaftabletten - ob absichtlich oder nicht, ist unklar.

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