Rinderhaltung in Kultur und Ökonomie Madagaskars

Die Verfasserin analysiert die sozioökonomische Determiniertheit der madagassischen Rinderproduktion und veranschaulicht bild- und zitatenreich die historisch verwurzelten, jedoch fortdauernd engen Beziehungen insbesondere der ländlichen Bevölkerung der mit relativ großen Rinderbeständen ausgestatteten völkerreichen Inselrepublik. Die herausragende Rolle dieser äußerst vielfältigen Verbindung jener Menschen mit ihren Rindern lässt sich mit allgemein geläufigen sozioökonomischen oder betriebswirtschaftlichen Darstellungsmöglichkeiten nur unvollständig umreißen, da sie neben ökonomischen Aspekten vor allem auch historische und religiöse Marksteine in der Entwicklung der rinderhaltenden madagassischen Völker (Rinderidole, Rinderorakel, Rinder im Königskult), kulturelle (Totenrituale, Sitten, Sprachschatz) sowie soziale Bereiche in ihrer gesellschaftlichen Verflechtung (Rindergeschenke und -opfer aus familiären Anlässen, Bezahlung mit Rindern, Wertanlage in Rindern statt in Geld- oder anderer finanzmarktlicher Form) umfasst. Unter diesen Gesichtspunkten erscheint die Fragestellung nach marktwirtschaftlicher Qualität und Produktivität der Rinder - abgesehen von subsistenzwirtschaftlicher Bedeutung - eher untergeordnet und somit eine Zuordnung Madagaskars zum ostafrikanischen cattle complex durchaus gerechtfertigt, obwohl sich die Lebens- und Wirtschaftsweise der in den kontinental-ostafrikanischen Ländern nomadisierenden oder niedergelassenen Viehhalter von der der madagassischen Kleinbauern unterscheidet. Bei der Etablierung von Projekten zur Entwicklung der Tierproduktion wurde dort wie auch auf Madagaskar in der Regel die Steigerung der Produktion in den Mittelpunkt gestellt und die Veränderung kultureller Werte und Bezüge entweder stillschweigend vorausgesetzt, gefordert oder die Entstehung diesbezüglicher Konflikte einfach negiert, zumal die meisten in- und ausländischen Projektträger nur schwache Bindungen zu den Projektbetroffenen oder geringe Kenntnisse über deren kulturelle und soziale Bedürfnisse hatten. Diese durch die vorliegende Arbeit geförderte und fundierte Einsicht erleichtert das Verständnis für so viele Fehlinvestitionen in diesem Sektor und sollte den Blick schärfen für das Machbare wie auch das Notwendige bei Neuansätzen in diesem wichtigen Feld der Entwicklung des Lebens und der Wirtschaft nicht nur madagassischer Viehhalter, sondern weltweit Millionen gleichermaßen Betroffener. (J. Poetschke, Institut für Tropische Landwirtschaft)

Sabine Berchem ist Diplomsoziologin und Magister der tropischen Landwirtschaft und Entwicklungsökonomie.

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