Sehnsucht leben

Sehnsucht ist ein Existenzial, das Verlangen nach immer wieder Unerreichbarem. Solange Menschen endlich, raum- und zeitgebunden leben, gibt es ein unstillbares Verlangen nach mehr und nach dem ganz Anderen. "Sehnsucht" begegnet interreligiös und interkulturell, mag der Umgang mit ihr auch verschieden erfahren, gedanklich erfasst, erlitten und gestaltet sein. Philosophen und Theologen wie Emmanuel Lévinas und Nikolaus von Kues, MystikerInnen wie Mechthild von Magdeburg und Meister Eckhart waren auf Denk- und Erfahrungswegen der Sehnsucht unterwegs und begegneten ihr mitten im Leben. Hinzu kommen DichterInnen wie Gottfried Benn und Hilde Domin, Songwriter wie Leonard Cohen und Bob Dylan - nicht nur bei ihnen oft in Verbindung mit Liebeserwartung und Liebesenttäuschung. Gerhard Marcel Martin geht es um eine präzise, auch (tiefen)psychologische Begriffs- und Phänomenklärung. "Sehnsucht" ist dabei kein Sammelbegriff für verschiedenste Wünsche und Glücks- und Sinnsuche. Sehnsucht ist eine anhaltende und unumkehrbare ex-zentrische Bewegung und hat einen überraschenden anthropologischen Anschluss an ein philosophisches und theologisches Transzendenzverständnis. Durchgängig bleibt von Interesse, wie radikale Sehnsucht gelebt worden ist und gelebt werden kann und wie Existenzvollzüge in Wechselwirkung von Sehnsucht und Liebe aussehen. Der Autor bietet Materialproben verschiedenster Provenienz, die alle auf bisweilen verblüffende Weise ein gemeinsames Resonanzfeld haben. So entsteht eine kaleidoskopartig multiple "Revue", die aber eine deutlich markierte Suchbewegung mit einer strengen Mustererkennung bleibt.