Sigmund Freud. 'Mein Leben ist nur von Interesse in seiner Beziehung zur Psychoanalyse'

Wo 'die biographische Wahrheit ... nicht zu haben' (Freud) ist, 'fingiert man die Ordentlichkeit eines üblichen Lebenslaufschemas, indem man schreibt: 'Damals - später', 'Weil - obwohl'", schreibt Peter Handke in 'Wunschloses Unglück'. In der Tat, wo 'die biographische Wahrheit ... nicht zu haben' ist, entwirft man ein Schema, ein Bild, das zwangsläufig illusionär bleiben muss. Dieses Bild kann entweder den Prinzipien der traditionellen Malerei folgen oder es kann die sich in Techniken verwandelnden Fragen und Unsicherheiten der modernen Malerei aufnehmen. Beides ist nicht die 'biographische Wahrheit', aber beides ist Biographie im Wortsinne, soweit sie in den Möglichkeiten der Schrift liegt. Beides hat seine Berechtigung, beides seine Vor- und Nachteile. Wo die zum Ganzen strebende Biographie ein Leben vielleicht umfassender greifbar macht, indem es dieses bis in die grammatisch-zeitliche Form hinein nach dem Prinzip: 'Damals - später' ordnet, wobei sie bestrebt sein muss, möglichst alle vorhandenen Teile detailliert und begründet einzubeziehen und wiederzugeben, da hat die Collage die Freiheit der Auswahl und der Zusammensetzung. Die gewählten Momente werden dabei bis in die Grammatik mit einem Gegenwartsstatus versehen und aufgeladen, und eher nach dem Prinzip des 'Weil - obwohl' anstatt des kausalen Prinzips vorgestellt. Aus solcher Collage-, solcher Zitationssammlung kann dann etwas aufblitzen, was bisher eher matt blieb, ohne dass der Ausblick aufs Ganze verloren ginge. (Rolf Michael Böttcher) Auf diesen Benjamin'schen Collagecharakter pocht auch die von Böttcher vorgelegte Freudbiographie, die sich weniger als neue, denn als Ergänzungsperspektive vorhandener, bereits vorliegender Biographien versteht, auf die sie sich beruft und zu deren Lektüre sie auffordert. Dass es Böttcher gelingt, das Leben Freuds als solches überaus spannend einzufangen und beim Lesen die Lust erzeugt, sich noch einmal auf Leben und Werk des Schöpfers der Psychoanalyse einzulassen, macht den Gewinn dieser Arbeit aus, die auch ihrem eigenen Anspruch, einzelne Züge dieses Lebens sichtbar zu machen und diese als bis heute wirksam spürbar werden zu lassen, mehr als gerecht wird. Und der es zudem glückt, einige Momente des Freudschen Lebens und Werks so zu akzentuieren und ins Licht zu rücken, dass sie aus ihrer Gebundenheit an Freud heraustreten und im Leben und Denken jedes Lesers wichtig werden könnten. (Silke Kapteina)

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