Supranationalität als Verfassungsprinzip.

Mit der Veröffentlichung wird versucht, eine gemeinsame normative Grundlage staatlicher und nichtstaatlicher Verfassungsbegriffe zu entwickeln. Obwohl Europa kein Staat werden soll, ist die Existenz eines normativen Europäischen Verfassungsrechts nicht ausgeschlossen. Eine Gleichsetzung von Verfassungsentwicklung und Staatswerdung ist abzulehnen. Trennt man den normativen Staatsverfassungsbegriff von seinen notwendigerweise staatsbezogenen Elementen, so kann ein abstrakter Bedeutungskern des normativen Verfassungsbegriffs gefunden werden: Verfassungsrecht stellt eine eigenständige Herrschaftsordnung auf und ist darauf gerichtet, diese Ordnung spezifisch zu begründen - zu legitimieren. Demokratie- und Legitimationsmodelle, die für die staatliche Ordnung entwickelt wurden, sind nicht unmittelbar auf den überstaatlichen Integrationsprozeß übertragbar. Die Originalität des supranationalen Herrschaftsmodells liegt in der Verbindung von Nichtstaatlichkeit mit Normativität und Legitimation. Herrschaftsausübung findet in Europa sowohl gegenüber den Mitgliedstaaten als auch gegenüber den Individuen statt. Daher sind auch Normativität und Legitimation im europäischen Rahmen nicht schlechter oder besser als im Nationalstaat, sondern unterliegen anderen Anforderungen.