Tausche Sex gegen Nahrung?: Eine Untersuchung über das gleichgeschlechtliche soziosexuelle Verhalten weiblicher Bonobos (Pan paniscus) bei der Nahrungsaufnahme

Das Teilen von Nahrung ist kein seltenes Phänomen unter Primaten. Es wurde unter anderem bei Kleideraffen, Gibbons, Schimpansen und auch bei den in dieser Studie behandelten Bonobos beobachtet. In den zuerst genannten Fällen kann dieses Verhalten meist auf Basis der Verwandtschaftsselektion erklärt werden. Betrachtet man jedoch das Teilen von Nahrung bei Bonobos, treten zwei Besonderheiten in den Vordergrund. Erstens teilen am häufigsten die aufgrund der patrilinearen Gruppenstruktur nicht oder nur entfernt verwandten Weibchen die Nahrung miteinander. Dies lässt die Frage aufkommen, welche Faktoren dieses Verhalten zwischen nicht-verwandten Tieren begünstigen. Zweitens tritt das Teilen von Nahrung oft zeitnah zu sexueller Interaktion auf. Hierzu beschreibt z.B. Frans de Waal (1998), einer der renommiertesten Forscher im Bereich Verhaltensforschung bei Primaten, Situationen, in denen die Bereitschaft eines Männchens zum Teilen von Nahrung mit einem Weibchen durch eine vorangegangene Kopulation positiv beeinflusst zu sein schien. Sowohl Weibchen als auch Männchen forderten dabei zur Kopulation auf, wobei Weibchen anschließend stets von der Nahrung des Männchens fressen konnten. Seine Beobachtungen interpretierte de Waal (1998) dahin gehend, dass Männchen Nahrung gezielt dazu einsetzen, um mit Weibchen zu kopulieren und Weibchen ihrerseits die sexuelle Attraktion der Männchen nutzen, um Zugang zu einer begehrten Nahrung zu erlangen. Nun kann dieses Verhalten in heterosexuellen Paarkonstellation leicht durch die Begrenzungsfaktoren des reproduktiven Erfolges beider Geschlechter erklärt werden, welche für Weibchen durch den Zugang zu hochwertiger Nahrung und für Männchen durch den Zugang zu fruchtbaren Weibchen bestimmt sind. Amy Randall Parish (1994) beobachtete jedoch ein ähnliches Verhalten zwischen Weibchen untereinander. Wenn Weibchen die Nahrung miteinander teilten, kam es dabei ebenfalls häufig zur sexuellen Interaktion in Form des für Bonobo-Weibchen typischen Genito-Genital-Reibens (GG-rubbing). Auch Parish vermutete einen engen Zusammenhang zwischen dem Teilen von Nahrung und dem Auftreten von Genital-Kontakt entsprechend eines Austausches von sexueller Interaktion und Nahrung zwischen den beteiligten Tieren ("Sex-for-Food-Exchange"). Sie konnte in einer experimentellen Studie an in Gefangenschaft lebenden Bonobos zeigen, dass dieser "Sex-for-Food-Exchange" regelmäßig unter Weibchen vorkommt. Bisher wurden jedoch keine Daten über den zeitlich direkten Zusammenhang von sexueller Interaktion und Nahrungsteilen zwischen weiblichen Bonobos erhoben. Ziel dieser Studie ist es deshalb, weitere Erkenntnisse über die Funktion von GG-rubbing im Sinne eines direkten "Sex-for-Food-Exchange" zwischen Bonobo-Weibchen zu erlangen.