Terrence McNally tanzt keinen Tango mit toten Fischen auf Balkonen

Das Aufstiegsversprechen sollte beim Sprung über den Atlantik nicht baden gehen, doch leider haben nur die Gespenster der Vergangenheit im Umzugskarton überlebt. In den Siebzigern hat das linksliberale Quartett aus dem Drama "Harmony Place" vor dem Kapitol für Gleichberechtigung und gegen Rassismus gestritten, in der norddeutschen Überschreibung wird es jetzt von den Kindern der Political Correctness und den Müttern von Cancel Culture aufs Abstellgleis eines runtergerockten Wohnparks in Dithmarschen gesetzt. Das Stück "Terrence McNally tanzt keinen Tango mit toten Fischen auf Balkonen" verortet den globalen Klimawandel in den ländlichen Raum, entfesselt dabei die spalterischen Kräfte einer schleswig-holsteinischen Separatistenbewegung und verhandelt ein hanseatisches Rote-Armee-Trauma als groteske Allegorie über die Schönheit von Schuld gleich selbstredend mit. Während die zu bluttriefenden Darkrooms in Wellblechbauweise umfunktionierten Airstream-Klitschen langsam zwischen Kögen, Deichen und Entwässerungskanälen eines Trailer-Friedhofs abzusaufen drohen, bespielt sie das Personal im Schatten futuristischer Windparks und unter dem Phlegma prekärer Lebensverhältnisse letztmalig als Druckkessel von patriotischen Debatten und völkischen Ausgrenzungsfloskeln. Nahe der fiktiven Gemeinde Brunsburenkoog sorgt das rituelle Menschenschlachten für ein bizarres Revival des authentischen Wirgefühls in den Grenzen der Metropolregion Hamburg. Die Konfektionierung des leidvollen Sterbens für den digitalen Weltmarkt ist den Zynikern von Eider und Elbe ihr Handwerk, die Ästhetisierung des Hinscheidens das Ziel. Am Ende wird ein stummes Mädchen aus den Fängen des sadistischen Parkbetreibers befreit sein, aber sie wird ihr Leben unter einem mutmaßlichen Kinderschänder und Ex-Terroristen erdulden müssen. Auch das ist die zermürbende Tragik dieses absurden Theaters am Ende der Kanzlerinnen-Ära Merkel: Dass es in den hellen Momenten mit der Verheißung auf Glück und innere Einkehr spielt, die Erlösung aber eine Chimäre bleibt. Das Stück verdankt seine Entstehung dem Autorenwettbewerb "Große Freiheit Schreiben", den das Ohnsorg Theater Hamburg 2021 initiierte.

Thomas Herget wurde 1964 in Frankfurt am Main geboren. Neben seinem Studium in Darmstadt publizierte er für Zeitungen im deutschsprachigen Raum. Es folgten literarische Förderpreise und Stipendien. Journalistische Tätigkeiten unter anderem für taz, Frankfurter Rundschau und Passauer Neue Presse. Heute verfasst er Film- und Theaterrezensionen, zeichnet für das Bühnen-Ressort eines Magazins verantwortlich und schreibt für Hörfunk und Theater. Er lebt in der Nähe von Kiel.

Weitere Produkte vom selben Autor

Download
ePUB
Und stillet den Zorn Thomas Herget

3,99 €*
Download
ePUB
Die Liquidatorinnen Thomas Herget

4,49 €*
Download
ePUB
Download
ePUB
Revolverfressen Thomas Herget

3,49 €*