Uneigentliche Verzweiflung

'Schreiben heißt die Einsamkeit verteidigen, in der man sich befindet', schreibt María Zambrano. Wenn aber schon das Schreiben generell die Einsamkeit verteidigt, was geschieht in einem Tagebuch, das der vorgegebenen Form zwar folgt, sich aber gleichzeitig gegen sie zur Wehr setzt? Frank Witzel vertraute sich zwei Monate jeden Tag einem Tagebuch an, ohne dabei der Form des Tagebuchs zu vertrauen. Seine Aufzeichnungen sind gekennzeichnet von einer Skepsis gegenüber dem eigenen Erleben und Denken - und nicht zuletzt auch gegenüber dem Vorgang des Schreibens selbst. Witzels Umgang mit den sogenannten Fakten, die sich hier, wenn überhaupt, nur am Rande finden, heben die Aufzeichnungen im wahrsten Sinne des Wortes ins Metaphysische: Personen, Begegnungen, Reisen oder alltägliche Ereignisse werden unmittelbar von ihrer vermeintlichen physischen Existenz befreit und schon im Notieren in die metaphysische Reflexion umgelenkt. Ein eindrucksvolles Schreibprojekt, das mit diesem ersten Band seinen Anfang nimmt. 'Betrachtet man das Schreiben aus einer existenzialistischen Sicht, dann wird auch verständlich, warum etwa Kafka wollte, dass man seine Schriften vernichtet, denn sie waren Zeichen seiner Lebenspraxis, Zeichen seiner Stadien auf dem Lebensweg, die ihm außerhalb der eigenen Existenz leer und unbedeutend erschienen.' - Frank Witzel

Frank Witzel erhielt für seinen Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 den Deutschen Buchpreis 2015. Für das gleichnamige Hörspiel gewann er den Deutschen Hörspielpreis 2017. Für seinen Roman Direkt danach und kurz davor war er für den Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2017 nominiert. 2017 erhielt er die Poetikdozentur der Universität Heidelberg und 2018 die Poetikdozentur der Universität Tübingen, 2017/2018 war er Inhaber der Friederichs-Stiftungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung Offenbach. Im BR wurden 2017 sein Hörspiel-Film Die apokalyptische Glühbirne und 2018 die Hörspielserie Stahnke, 2019 beim HR das Hörspiel Jule, Julia, Julischka, alle in der Regie von Leonhard Koppelmann, gesendet.

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